Nachtchimäre - Fragmente der Dunkelheit (German Edition)
morgen noch steigert, wird es bestimmt eine große Party werden.
Zu schade nur, dass man hier kein Feuerwerk und diese niedlichen kleinen Papphütchen kaufen kann – Nicht! Vor mich hingrummelnd blicke ich in die Auslagen des Mayfair Shops und mich trifft fast der Schlag: Silvester hat auch hier Einzug gehalten. Ich fasse es nicht. Was soll das denn? Kleine exquisite Hütchen mit Glitzersteinen und bunten Federn bevölkern wie kleine Pelztiere die Auslagen. Okay, sie müssen auch ihr Geld irgendwie verdienen. Aber warum so? Warum der Rum?!, erklingt es nach Captain Jack Sparrow in meinem Kopf und ich muss doch kurz in mich hineinschmunzeln. Um auf andere Gedanken zu kommen und den fröhlichen Menschen aus dem Weg zu gehen, verlasse ich das belebte Deck und begebe mich in höher gelegenere Gefilde.
Aber wo könnte man jetzt ungestört sein? Mein Blick auf die Tafel neben den Fahrstühlen bleibt an Deck 6 hängen. Dort ist im Heck die Playzone des Kindergartens angesiedelt. Kinder dürfte es da zu dieser Zeit nicht mehr geben, schließlich ist es kurz nach 19 Uhr, wie mir die große Wanduhr verrät, und die ganz Kleinen müssen ins Bett oder sind zum Abendessen. Der ideale Ort also, um ein wenig zur Ruhe zu kommen, denn die Kabine ist mir, trotz ihrer Größe, auch zu eng. Manchmal gibt es einfach so Tage …
Ich sollte recht behalten. In den Fenstern der Kindertagesstätte brennt zwar noch Licht, aber es ist nur die Notbeleuchtung. Ich blicke hinein und sehe, womit sich die Kiddies beschäftigt haben: Feuerwerk. Überall hängen DIN A4 Bögen mit gemaltem Feuerwerk – und man scheint Silvesterhütchen gebastelt zu haben. Ein paar baumeln von einem Regal herunter. Sie sind mit Glitterzeug und Federn verziert, ganz wie es das kleine Kinderherz begehrt. Also hier auch nur das Eine.
Als ich die Tür zur Außenterrasse öffne, fällt mein Blick zuerst auf das abgedeckte Becken des Kinderpools. Kleine Eiskristalle haben sich darauf abgelagert, denn es ist sehr kalt hier draußen – und still. Wunderbar still. Ich befinde mich auf dem Heck des Schiffes, so dass hier maximal ein leichter Fahrtwind zu spüren sein sollte; wenn überhaupt. Wie schnell das Schiff fährt, weiß ich nicht, nur dass es sich kontinuierlich fortbewegt. Der Schein der beleuchteten Decks lässt hier am äußeren Rand ebenfalls nach. Ich bezweifle sogar, dass mich jemand von innen her sehen würde, wenn er einen flüchtigen Blick hinaus auf das Deck wirft.
Mit langsamen Schritten erreiche ich die Reling, beuge mich leicht hinüber und schaue auf das Wasser. Es geht ziemlich weit nach unten und dann ist da nur noch wirbelnde Schwärze von Wasser und Dunkelheit. Die Kronen der Wellen, die durch die Bewegungen der Schiffsschraube aufgewirbelt werden, sind von Gischt gekrönt und sehen einfach nur schön aus in ihrer majestätischen Schlichtheit. Mein Blick verändert sich und plötzlich ist das fast schwarze Wasser millionenfach in viele sich immer wieder mischende, glitzernde und schillernde Punkte getaucht. Ein wahres Wunderwerk an Farbenpracht entfaltet sich vor mir und ich könnte mich millionenfach darin verlieren.
Das leichte Farbenspiel der Schaumkronen verliert sich im Dunkel von Wasser und Himmel und bis zu seinem Verlöschen wird jeder einzelne Wellenkamm vom warmen Licht der Sterne wie ein liebgewonnener Freund begleitet und als solcher stumm und friedlich in die Unendlichkeit der Nacht verabschiedet. Ein feierlicher und zugleich trauriger Anblick der Vergänglichkeit … Ach ja …
Schritte hinter mir bringen mich dazu, meinen Blick von den Wellen abzuwenden. Einen Moment macht mich das Licht, welches von der Innenbeleuchtung ausgeht, fast blind und ich schließe kurz die Augen, um wieder normal sehen zu können. Weiße Lichtflecken bleiben jedoch vor meinen Pupillen tanzend zurück, so dass ich nur die Umrisse der Gestalt erkennen kann, die auf mich zukommt. Da schau an: der Herr von Hohenau – Alex, und er schlendert gemütlich auf mich zu. Ob ich seine Gesellschaft gerade als angenehm empfinden soll, weiß ich noch nicht. Aber jetzt wegzugehen wäre wohl mehr als unhöflich. Daher nicke ich ihm grüßend zu und wende mich wieder zum Wasser. Soll er das doch so deuten, wie es ihm gefällt.
Er gesellt sich zu mir und eine Weile stehen wir beide einfach nur still an der Reling, beobachten das Wellenspiel und lauschen dem leichten Motorengeräusch, welches als leises Summen zu uns hinaufdringt.
„ Wunderschön, nicht wahr?“,
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