Nachte des Sturms
wie wunderbar es ist. Ich hätte nie gedacht, dass
ich je so viel empfinden, dass ich je so glücklich sein, dass ich je einen Menschen wie Aidan finden würde, der mich liebt.«
»Weshalb denn nicht?«
»Ich hatte nie das Gefühl, gut oder intelligent oder klug genug für so etwas zu sein.« Sie legte eine Hand auf ihren Bauch, trat zur Wand und strich ehrfürchtig über die Zierleiste. »Rückblickend betrachtet kann ich gar nicht mehr verstehen, warum ich mich je so – nun – unzulänglich gefühlt habe. Niemand außer mir selbst hat mir je Grund dazu gegeben. Aber weißt du, ich glaube, ich musste ganz einfach so empfinden, denn anders hätte mein Leben mich sicher nicht Schritt für Schritt hierher geführt.«
»Das ist die gute, irische Art, die Dinge zu sehen.« »Das ist der Glaube ans Schicksal«, pflichtete ihr Jude mit einem halben Lachen bei. »Weißt du, manchmal wache ich nachts auf, spüre Aidan neben mir und denke, hier bin ich. Jude Frances Murray. Nein, Jude Frances Gallagher«, verbesserte sie sich mit einem Lächeln, das die Grübchen in ihren Wangen zu Tage treten ließ. »Lebe hier in Irland unmittelbar am Meer, bin eine verheiratete Frau und spüre, wie Leben in mir wächst. Außerdem bin ich inzwischen eine echte Schriftstellerin, die bereits ein Buch veröffentlicht hat und ein zweites gerade schreibt. Es fällt mir schwer, in mir noch die Frau zu erkennen, die ich in Chicago war. Und ich kann dir gar nicht sagen, wie froh ich darüber bin.«
»Sie ist immer noch ein Teil von dir, sonst wüsstest du den neuen Menschen, der du bist, und das neue Leben, das du führst, nicht derart zu schätzen.«
Jude zog die Brauen hoch. »Du hast vollkommen Recht. Vielleicht hättest du an meiner Stelle Psychologin werden sollen.«
»Nein, danke. Ich hämmere lieber auf einem Stück Holz herum statt auf dem Schädel eines Menschen.« Brenna presste die Lippen zusammen und schlug einen Nagel in die Wand. »Mit einigen wenigen Ausnahmen.«
Ah, dachte Jude, dies war endlich die Eröffnung des Gesprächs, das sie angesteuert hatte. »Könnte es vielleicht sein, dass mein werter Schwager die Liste dieser wenigen Ausnahmen anführt?«
Bei dieser Frage schlug sich Brenna mit dem Hammer auf den Daumen. »O verdammt, verfluchter Dreck!«
»Oh, lass mich sehen. Ist es sehr schlimm?«
Brenna holte zischend Luft, als Jude besorgt auf ihren Finger blickte. »Nein, es ist nichts weiter. Ich bin einfach eine tollpatschige, unbeholfene Idiotin. War meine eigene Schuld.«
»Komm mit runter in die Küche, dann lege ich dir etwas Eis auf deinen Daumen.«
»So schlimm ist es wirklich nicht«, erklärte Brenna und schüttelte die wunde Hand.
»Komm mit runter.« Jude nahm sie am Arm und zog sie Richtung Tür. »Es war meine Schuld. Ich habe dich abgelenkt. Also ist ja wohl das Mindeste, was ich tun kann, dich ein bisschen zu pflegen.«
»Der Daumen ist höchstens ein bisschen gequetscht.« Trotzdem ließ sich Brenna die Treppe hinunter in die Küche zerren.
»Setz dich. Ich hole etwas Eis.«
»Ja, sicher kann es nicht schaden, sich eine Minute zu setzen.« Sie hatte sich schon immer wohl gefühlt in der Gallagher’schen Küche. Seit ihrer Kindheit hatte sich in diesem Raum, auch wenn Jude hier und da ihre Spuren hinterlassen hatte, kaum etwas verändert.
Die Wände waren cremefarben gestrichen und wirkten,
verglichen mit der Decke aus beinahe schwarzem Holz, zart wie Porzellan. Auf den dicken, breiten Fensterbänken standen Töpfe mit selbst gezogenen Kräutern, und der alte Schrank mit den Glastüren und den zahllosen Schubladen, der eine ganze Wand einnahm und der mit dem allmählich abblätternden weißen Anstrich wenig elegant, doch anheimelnd gewesen war, wirkte mit Judes zartgrünem Anstrich frisch und hübsch und irgendwie weiblich.
Hinter den Glastüren sah man das Feiertagsservice, das die Gallaghers früher an Festtagen und zu sonstigen besonderen Anlässen benutzt hatten. Es war aus feinem, weißem Porzellan und hatte einen dünnen Rand aus zarten, blauen Veilchen.
Das Feuer in dem kleinen Herd aus Pflastersteinen wurde von einer handgeschnitzten Fee behütet, die Brenna Jude zu ihrem dreißigsten Geburtstag geschenkt hatte.
»Der Raum passt zu dir«, erklärte Brenna, während Jude vorsichtig in ein Handtuch gehüllte Eiswürfel auf ihren verletzten Daumen legte.
»Ich fühle mich hier auch wirklich wohl.« Jude merkte gar nicht, dass sie allmählich den singenden Tonfall der Iren
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