Nachte des Sturms
Schulter. »Setz dich und atme erst einmal tief durch. Du brauchst ganz sicher nicht das Land zu verlassen.«
Als Brenna sie stumm anstarrte, war Jude diejenige, die tief Luft holte. »Ich glaube nicht, dass man es dir ansieht, zumindest nicht sehr. Aber ich bin es gewohnt, die Menschen zu beobachten, sie zu analysieren, und vor allem glaube ich, dass man, wenn man selbst liebt, empfänglicher ist für die Gefühle anderer. Irgendwie … ich weiß nicht, irgendwie ist die Luft spannungsgeladen, sobald ihr beiden zusammen in einem Raum seid. Nach einer Weile wurde mir klar, dass zwischen euch nicht die normale zärtliche Feindseligkeit wie zwischen manchen Freunden oder Geschwistern herrscht, sondern etwas, nun, etwas Elementareres.«
Brenna winkte ab. Ihr ging es nur um eins. »Man sieht es mir nicht an?«
»Nein, außer man nimmt dich genau unter die Lupe. Und jetzt setz dich endlich hin.«
»Dann ist es ja gut.« Sie atmete auf, auch wenn sie noch keine vollkommene Erleichterung empfand. »Wenn Darcy etwas gemerkt hätte, hätte sie ganz sicher längst etwas gesagt. Sie könnte der Versuchung ganz bestimmt nicht widerstehen, mich damit zu piesacken. Wenn also nur ihr beide, du und Shawn Bescheid wisst, kann ich damit leben.«
»Du hast es ihm gesagt?«
»Ich dachte, es wäre an der Zeit, ihm gegenüber ehrlich zu sein.« Ohne großen Appetit tauchte Brenna ihren Löffel in die Suppe. »Ich empfinde schon seit langem so ein Verlangen nach ihm, wenn du so willst, und ich dachte, wenn wir ein- oder zweimal miteinander ins Bett gingen, würde es wieder verschwinden.«
Jude ließ klappernd ihren Löffel auf den Tisch fallen. »Du hast ihn gebeten, mit dir ins Bett zu gehen?«
»Ja, und man hätte denken können, ich hätte ihm einen Fausthieb in den Unterleib verpasst. Was auch schon beinahe das Ende unseres Gespräches war.«
Jude faltete die Hände und beugte sich über den Tisch. »Das hätte ich dann doch gerne ein bisschen detaillierter.«
Brennas Mundwinkel zuckte. »War das noch nicht detailliert genug?«
»Nicht annähernd. Was genau hast du zu ihm gesagt?«
»Ich habe klar und deutlich erklärt, dass ich denke, wir sollten miteinander ins Bett gehen. Was ist daran bitte falsch?« Sie fuchtelte mit ihrem Löffel durch die Luft. »Man sollte meinen, dass ein Mann Ehrlichkeit und Direktheit bei einer Frau zu schätzen weiß.«
»Hmmm«, war alles, was Jude dazu einfiel. »Ich nehme an, Shawn hat es nicht zu schätzen gewusst.«
»Hah! Er sagt, ich sei für ihn so was wie eine Schwester. Und ich sollte mich schämen. Schämen«, wiederholte sie wütend. »Und dann hat er mir rundheraus erklärt, er hätte kein derartiges Interesse an meiner Person. Also habe ich ihn angesprungen.«
»Du …« Jude begann zu husten und griff erneut nach ihrem Löffel. Sie brauchte etwas, um ihre gereizte Kehle zu beruhigen. »Du hast ihn angesprungen?«
»Ja. Habe ihm einen Kuss gegeben, den er ganz sicher
nicht so schnell vergisst. Und er hat sich nicht unbedingt gewehrt.« Sie zerriss eine Scheibe Brot und schob sich eine Hälfte in den Mund. »Als ich mit ihm fertig war, habe ich ihn einfach stehen lassen. Er sah aus, als hätte ihn der Schlag getroffen.«
»Das kann ich mir vorstellen. Und er hat deinen Kuss erwidert?«
»Natürlich.« Sie zuckte mit den Schultern. »Männer sind ja derart simpel. Selbst wenn eine Frau nicht nach ihrem Geschmack ist, nehmen sie doch gerne eine Kostprobe, nicht wahr?«
»Hmmm, ich nehme es an.«
»Und jetzt halte ich mich eine Zeit lang von ihm fern, weil ich nicht entscheiden kann, ob mich die Sache eher wütend oder doch verlegen macht.«
»Er war in den letzten Tagen ziemlich geistesabwesend.«
»Ach ja?«
»Und übellaunig.«
Brenna fühlte, dass ihr Appetit zurückkam. »Das höre ich gern. Ich hoffe, dass er wirklich leidet.«
»Wenn ich wollte, dass er leidet, würde ich ihn dabei bestimmt gerne beobachten.« Jude schob sich einen weiteren Löffel Suppe in den Mund. »Aber vielleicht geht es dir da anders.«
»Ich nehme an, es kann nicht schaden, wenn ich heute Abend nach der Arbeit noch kurz in den Pub gehe.« Brenna bedachte Jude mit einem schnellen, bösartigen Grinsen. »Danke für das hilfreiche Gespräch.«
»Nichts zu danken. Es war mir ein Vergnügen.«
Brenna machte sich pfeifend, gut gelaunt und voller Eifer wieder an die Arbeit. Sie nahm an, es war nicht gerade nett
von ihr, sich derart über das Elend eines anderen zu freuen. Aber ganz sicher
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