Nachtengel
abschicken werde.«
»Gib doch deine Ergebnisse einfach telefonisch durch. Du kannst den Bericht nachschicken, sodass sie ihn am Montag bekommt. Sie wird die Information, die sie braucht, am Freitag haben, das ist die Hauptsache. Ist die Analyse fertig?«
»Ja. Ich habe alles gemacht, was sie verlangte. Es ist nur … Da war etwas, das ich besprechen wollte …« Sie sah auf die Uhr. »O Gott, sieh mal, wie spät. Ich muss gehen. Ich bespreche am Freitag mit dir. Es läuft nicht weg.« Gemma schien zufrieden und ging.
Was immer sie beunruhigt hatte, Roz konnte keine Spur davon finden. Gemma hatte die Frau als russischsprachig identifiziert, mit sprachlichen Merkmalen, die darauf hinwiesen, dass sie aus dem östlichen Sibirien kam. Mit ihrer über viele Seiten gehenden Analyse belegte sie ihre Ergebnisse. Roz blätterte sie durch. Alles schien problemlos. Sie druckte die Niederschrift der Aufnahme aus und sah sie sich an. Drei Zeilen waren mit Sternchen markiert: 25, 127 und 204. Das war das einzige Anzeichen, dass etwas nicht komplett war, aber daraus ging nicht hervor, warum Gemma diese Zeilen gekennzeichnet hatte.
Mit dem Gefühl, dass aus ihrer Überprüfung jetzt Neugier wurde, blätterte Roz in Gemmas Kalender, um zu sehen, ob sie sich anstehende Termine vorgemerkt hatte und sich so alles klären ließ. Nichts. Sie war sich bewusst, dass sie ihre Nase in Dinge steckte, die sie nichts angingen, deshalb ließ sie den Bericht auf ihrem Tisch liegen und ging zu Luke.
Die Tür zu seinem Büro war angelehnt, und Roz ging hinein. Ein Tonband mit knackenden und zischenden Hintergrundgeräuschen lief, und unter all dem hörte man auch Stimmen. Luke stand bei einem der Computer und schaute auf den Bildschirm, wo ein akustisches Profil zu sehen war. Luke markierte eine Stelle farblich. Er sah nicht auf, sagte aber: »In der Kanne ist Kaffee.« Er hatte immer Kaffee da, um seine Koffeinsucht zu befriedigen, und Roz – und Gemma – kamen oft in Lukes Büro, statt zur offiziellen Kaffeemaschine oder, noch schlimmer, zum Automaten zu gehen. Er führte schon lange einen Zermürbungskrieg gegen Joanna, die klare Trennungslinien liebte – Kaffee in Aufenthaltsräumen mit Kaffeemaschine, Bücher in Bibliotheken, Arbeit an Schreibtischen.
Roz sah Luke über die Schulter und auf den Bildschirm. »Was ist das?«, fragte sie. Er schien zerstreut.
»Es ist diese Überwachung aus Manchester. Wir sollen die Tonqualität des Bandes verbessern. Wenn sie 'ne gescheite Ausrüstung kaufen würden, könnten sie ein Vermögen sparen«, sagte er. Er nahm das Hintergrundgeräusch auf, um es von dem Band zu löschen; jetzt wo es Software gab, die den ganzen Prozess abwickelte, war das eine einfache Aufgabe. Er drückte eine Taste und spielte die Aufnahme ab. Diesmal legten sich nicht mehr die störenden Geräusche über die Stimmen, aber was gesprochen wurde, war verzerrt, hallte nach, und die Tonstärke schwankte. Er drückte eine weitere Taste, alles verschwand vom Bildschirm, und er drehte sich um und sah sie an.
»Hast du die Resultate von unserem letzten Durchlauf mit der Software bekommen?«, fragte Roz. Luke arbeitete mit ihr zusammen an der Analyse der Bandaufnahmen von polizeilichen Verhören.
»Ich hab sie am Mittwoch bekommen. Hörst du eigentlich nie zu?« Er schaute zu ihr hinüber. »Also Roz, kein Kaffee?«
»Ich nehme einen, wenn ich schon da bin.« Sie holte sich eine Tasse vom Regal und goss sich Kaffee ein. Er war stark und schwarz. »Und du?« Er schüttelte den Kopf, lehnte sich gegen seinen Schreibtisch zurück und wartete ab, was sie wollte. »Gemma«, sagte sie. »Joanna war wirklich sauer. Hast du etwas gehört?«
»Was, zum Beispiel?« Er schien leicht gereizt, wie er dieser Tage ihr gegenüber immer war. Einen Moment dachte sie, er würde nichts mehr sagen, aber er fügte hinzu: »Sie wollte gestern Abend nach ihrer Rückkehr noch bei mir vorbeikommen, wenn sie nicht zu müde wäre. Sie sagte, sie würde vielleicht anrufen, aber das hat sie nicht getan.« Er zuckte die Schultern.
»Ach.« Roz wusste nicht, was sie davon halten sollte. Sie erzählte ihm von der E-Mail.
»Das ist Quatsch«, sagte er.
Roz war genervt. Joanna schien zu glauben, dass sie für Gemmas Abwesenheit verantwortlich sei, und Luke blockte ab und gab sich schwierig. »Lass das, Luke«, sagte sie. »Die Mail liegt ja in der Post vor. Ich hab nur gefragt, ob sie mit dir gesprochen hat. Und du sagst nein. Das ist alles, was ich
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