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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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weniger technischen Aspekte der Arbeit der Law-and-Language-Gruppe, die sich auch mit Drohbriefen und mit Erklärungen und Bekenntnissen, die angefochten wurden, befasste. Bekannte Fälle, die eine gewisse Faszination ausübten.
    Sie erzählte ihnen von einem aktuellen Fall, bei dem der Computer gespeichert hatte, welche Tasten beim Schreiben gedrückt wurden, wobei sich zeigte, dass der Abschiedsbrief einer Selbstmörderin sehr wahrscheinlich nicht von der Toten stammte, die mit Textverarbeitungsprogrammen Erfahrung hatte. »Wer immer den Brief schrieb, kannte sich nicht aus und hat die Eingabetaste für den Zeilenumbruch genommen. Und auch andere Informationen werden in einem Computer gespeichert, von denen man oft nichts weiß: Daten und Zeiten, die dann verraten können, ob ein Dokument echt ist. Andererseits kann man nicht feststellen, mit welchem Computer ein Dokument tatsächlich geschrieben wurde. Jede Schreibmaschine hat dagegen ihre besonderen Eigenheiten.«
    Sie zeigte ihnen eine unterschriebene Zeugenaussage, in die Zeilen eingefügt waren, durch die der Zeuge sich selbst belastet hatte, und erläuterte, mit welchen Methoden man anhand einer Analyse hatte zeigen können, dass der Text von zwei verschiedenen Verfassern stammte. Die Studenten hörten aufmerksam zu.
    Aber während sie sprach, war sie mit den Gedanken nicht bei dem vertrauten Thema. Sie machte ihre üblichen Witze, ließ Beispiele auf der Projektionsfläche erscheinen, beantwortete Fragen. Alles lief automatisch, während sie über Gemma und über das, was Luke gesagt hatte, nachdachte. Er hatte Recht. Natürlich wäre Gemma zurückgekommen, außer wenn es so spät war, dass kein Zug mehr ging. Und das war lächerlich, weil diese Meetings nie länger als bis vier Uhr dauerten. Vielleicht war sie länger geblieben, um etwas zu essen, vielleicht hatte sie spazieren gehen und sich die Gegend an der Canal Street ansehen wollen … Aber das war nicht sehr wahrscheinlich. Gemma tat so etwas nicht. Das erinnerte Roz daran, dass sie DI Jordan drüben in Hull anrufen musste.
    Sie dachte an die Stimme auf dem Tonband, an die Frau und deren gebrochenes, dürftiges Englisch, einzelne Wörter, ein paar Wendungen, undeutlich wegen des Rauschens auf dem Band und den Hintergrundgeräuschen eines Krankenhauses, Schritte, Metall, das an Metall stieß, und Stimmen, die unzusammenhängend stammelten. Die Stimme der Frau war leise und monoton, wodurch sich die Dinge, die sie sagte, schockierender und schrecklicher anhörten. »Er« – oder war es sie für mehrere Personen? – »schlagen«, sagte sie immer wieder und »Er zusammenschlagen …«, und ein Satz, den Gemma übersetzt hatte mit: Ich weiß nicht, wie ich es sagen soll und nach Haus und er mich töten und gehen und andere Wörter, Männer jeden Tag und ich sage nein, er (sie?) mir machen und weh. Und hier zitterte die unnatürlich ruhige Stimme, als unterdrücke die Frau die Tränen. Roz erinnerte sich an die nüchterne Sprache in Gemmas Bericht, die aus den Worten Klangmuster und aus den Sätzen Konstruktionen ohne klare Bedeutung machte. Sie erinnerte sich, dass Gemmas Gesicht verwirrt und argwöhnisch ausgesehen hatte, als sie sich zusammen das Band anhörten, und sie fragte sich erneut, was Gemma Sorgen gemacht hatte.
    Hull, Freitagnachmittag
    Der Anruf war um halb zwölf gekommen. Mittags war der Tatort bereits abgesperrt, und das Ermittlerteam konnte an Ort und Stelle arbeiten. In einem der billigen Hotels an der Straße, die nach Osten aus der Stadt hinausführte, lag eine junge Frau tot im Badezimmer. Die erste und einfachste Vermutung war, dass die Frau eine Prostituierte war, die mit ihrem Freier aneinander geraten war. Das Blenheim war als Absteige für die Prostituierten der Stadt bekannt. Sie war schwer geschlagen worden – ihr Gesicht war so zugerichtet, dass es nicht zu erkennen war –, und es gab andere Körperverletzungen. John Gage, der Pathologe, war bis ein Uhr mit dem Teil seiner Arbeit, den er am Tatort verrichten musste, fertig. »Ihr könnt sie jetzt wegbringen, außer ihr habt irgendetwas Wichtiges zu tun, solange sie noch hier ist«, sagte er und zuckte zusammen, als er sich von der Stelle bei der Badewanne erhob, wo er sich hingekniet hatte.
    Detective Chief Inspector Roy Farnham stand an der Tür, die Hände in die Taschen gesteckt. Der Fotograf war fertig, und die Spezialisten für die Spurensuche hatten das kleine Badezimmer durchsucht und die Beweisstücke

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