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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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man ihr ihre Aufenthaltserlaubnis wegnehmen. Oder vielleicht ihrer Familie das Recht, hier zu bleiben, entziehen. Es würde ihren Sohn das Augenlicht und ihren Mann seine Arbeit kosten, mit der sie die Behandlung ihres Sohnes bezahlten. Sie hatte damals tatsächlich aus der Beratungsstelle weggehen wollen, aber dann hatte Matthew gesagt, er brauche sie dort. »Nur noch für ein paar Wochen.« Er hatte versprochen, dass er jemand anderen suchen würde, der kein so großes Risiko einging.
    Aber jetzt hatte Rafiq ihr noch etwas anderes zu sagen. »Tote Frau …«, begann sie.
    Lynne sah sie an. »Die Frau, die zur Beratungsstelle kam?«
    »Matthew sagt, wir wollen nicht Polizei. Ich ihm sagen, er von Krankenhaus gekommen und mich nach Haus bringt. Aber später.« Sie betrachtete Lynne ängstlich.
    Lynne saß einen Moment regungslos da. Hatte sie Rafiq richtig verstanden? »Er kam später noch einmal zurück?«, sagte sie. Rafiq nickte. »Um wie viel Uhr?«
    »Spät«, sagte Rafiq. »Er mich bringt nach Hause, aber Auto … es fährt nicht. Es …« Sie machte eine Handbewegung, die ›anlassen‹ bedeutete. Das Auto hatte eine Panne gehabt. »Ich komme nach Hause – vielleicht zwölf Uhr?« Lynne schloss die Augen. Matthew Pearse war in jener Nacht, als Katja verschwand, später vom Krankenhaus zurückgekommen, als er ausgesagt hatte. Wenn das so war, hatte er kein Alibi, und sie hatten nur seine Aussage, dass er sie mit dem Auto vom Krankenhaus abholen wollte. Diese Information hatte Rafiq für sich behalten. Lynne hatte gewusst, dass sie etwas verschwieg, und war schonend mit ihr umgegangen, und jetzt war Anna Krleza verschwunden. Schwer lastete die Verantwortung auf Lynnes Schultern.
    »Sie können helfen?« Rafiqs Stimme klang ängstlich. Sie hatte Lynne diese Information gegeben, in der Hoffnung, ihr damit etwas an die Hand zu geben, das sie einsetzen konnte, und war sich nicht der Bedeutung dessen bewusst, was sie verschwiegen hatte.
    »Ich werde tun, was ich kann«, sagte Lynne mit tonloser Stimme, den Ärger verbergend, den sie über sich selbst wie auch über Rafiq empfand.
    Nasim presste die Lippen zusammen und versuchte, ihre Gefühle zu beherrschen. Dann sah sie Lynne an, und in ihren Augen blitzte etwas auf. »Ich schreibe auf«, sagte sie. »Ich will lernen. Ich schreibe auf, bisschen.«
    »Sie haben etwas aufgeschrieben?« Lynne beugte sich vor. »Was? Was haben Sie geschrieben?«
    Nasim brachte stotternd ihre Erklärung vor. Als sie anfing, in der Beratungsstelle zu arbeiten, hatte sie sich Notizen gemacht zu dem, was sie tun sollte, wenn Leute kamen. »Er sagt mir, nicht schreiben, dann ich heimlich gemacht, später. Sonst ich vergesse.«
    »Was haben Sie geschrieben?«, fragte Lynne wieder. Es konnte etwas Wichtiges sein oder auch nicht.
    Rafiq schüttelte den Kopf. »Ich nicht …« Sie konnte sich nicht erinnern.
    »Wo?« Notizen auf Papier. Wenn Pearse nicht wollte, dass etwas festgehalten wurde, dann hatte er die Notizen bestimmt weggeworfen. »Haben Sie sie mit nach Hause genommen?«
    »In Beratungsstelle«, sagte Rafiq. Lynne war enttäuscht. Sie hatten im Zentrum keine Notizen gefunden. Sie hatten überhaupt sehr wenig gefunden. Rafiq sprach jetzt mit Nachdruck. »In Buch«, sagte sie. »Wenn er sagen nein, ich in Buch schreiben.«
    Das Lehrbuch. Das Buch, mit dem Rafiq versucht hatte, ihr Englisch zu verbessern. Lynne erinnerte sich, dass es in der Schreibtischschublade gelegen hatte und dass Notizen an den Rand geschrieben waren. Es war bei der Durchsuchung da gewesen. Lynne atmete auf, ihre Anspannung löste sich ein wenig. Hatten Farnhams Leute es mitgenommen? »Okay«, sagte sie. »Ich werde es suchen, und dann sehen wir weiter.«
    Hull, Montagabend
    Plötzlich wachte Anna auf. Sie spürte, wie ihr der Schweiß den Rücken hinunterlief und ihr eiskalt wurde. Sie konnte nicht klar denken. Sie musste etwas tun, wusste aber nicht mehr, was es war. Sie musste aufstehen und sich bewegen, aber es erschien ihr zu anstrengend. Sie erhob sich mühsam, ihr Kopf fühlte sich leicht an, und sie wollte etwas trinken. Das war's. Sie musste aufstehen, damit sie trinken konnte. Aber die Bäume waren im Weg, und sie kroch durch die Büsche, und es lag ein Geruch in der Luft, süß und faulig. Und sie wachte wieder auf und merkte, dass sie immer noch auf der Matratze lag, zitternd vor Kälte und mit schweißnassem Körper.
    Sie setzte sich auf und wickelte sich die Decke wie einen Schal um die

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