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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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der Wand entlang und versuchte, den gleichen Blickwinkel wieder zu finden, von dem aus sie erkennen konnte, ob das Licht noch da war, aber sie sah nichts. Sie musste es schaffen, in das Lagerhaus hineinzukommen.
    Sie steckte die Taschenlampe in die Tasche, nahm ihr Mobiltelefon heraus und horchte in die Nacht hinaus, ob jemand näher kam oder im Lagerhaus, in der Beratungsstelle oder im Hof war. In ihrer Phantasie hörte sie ringsum Geräusche. Atmen in der Nacht, verstohlene Schritte, das unmerkliche Öffnen einer Tür. Sie rief sich zur Ordnung und zwang sich, konzentriert zu lauschen. Im Hof war es still. Sie schaltete das Telefon ein und deckte ihren Mantel darüber, um das Freizeichen abzuschwächen. Gerade wollte sie die Nummer eingeben, als sie das Geräusch hörte.
    Ein leises Kratzen in der Dunkelheit vor ihr, wo die beiden Gebäude im rechten Winkel aufeinander stießen. Sie drückte auf die SOS-Taste am Telefon und tastete nach ihrer Taschenlampe. Plötzlich schoss ein Lichtstrahl durch die Nacht, schien ihr direkt in die Augen und blendete sie. Sie sah nur Licht, Helligkeit und Schwärze und fiel zur Seite, als etwas pfeifend aus dem Dunkel auf sie zuflog und auf ihre Schulter krachte. Eine Sekunde früher wäre ihr Kopf getroffen worden. Sie hörte ein Murmeln und eine Stimme merkwürdig sanft »Anna« sagen. Sie rollte sich seitlich in den Schatten, griff nach ihrer Taschenlampe, ihrer einzigen Waffe, aber als sie sich auf die verletzte Schulter rollte, konnte sie den stechenden Schmerz nicht unterdrücken. Der Lichtstrahl fuhr herum, und sie rollte sich wieder weg, denn sie wusste, dass sie ihn nicht lange aufhalten konnte, besonders jetzt, da sie verletzt und in der Dunkelheit von seinem Licht geblendet war. Ihre Hand tastete auf dem Boden nach dem Telefon, das ihr aus der Hand gefallen war, als sie von dem Schlag getroffen worden war. Wieder hörte sie seine Stimme: »Anna!« Sie warf sich ihm entgegen, fühlte den Aufprall, als sie ihn zu Fall brachte. Die Lampe fiel krachend zu Boden, Glas splitterte, und dann war alles dunkel.
    Sie kam auf die Beine, der eine Arm hing schlaff herunter, und sie versuchte, sich zu orientieren und zur Beratungsstelle zurückzufinden, die der einzige Weg zur sicheren Straße war. Dann kam der Mond heraus. Jemand kniete wie erstarrt auf dem Boden, und seine Hände betasteten eine Tüte, die bei seinem Sturz aufgeplatzt war. Als der matte Lichtschein den Hof beleuchtete, sah er nicht auf, sondern seine Hände glitten über die zerbrochene Flasche und den langstieligen Kelch, berührten sie aber nicht. Der Kelch rollte weiter, blieb schließlich liegen, und sie sah, wie sich ein dunkler Fleck auf dem Boden ausbreitete, und hörte ihn flüstern: »Nein!« Aber dann übertönten die Sirenen alles andere und Autos hielten mit quietschenden Bremsen auf dem Weg. Aus der Tür der Beratungsstelle kamen Leute gerannt, und sie wusste, dass Farnham sie gehört und verstanden hatte.

20
    Hull, Montagabend
    Matthew Pearse sah die Polizisten nicht an, die ihn von allen Seiten umringten. Er kauerte schützend über der zerbrochenen Flasche, aus der sich die dunkle Flüssigkeit ins Moos ergoss, und dem langstieligen Metallbecher, der im Licht der Taschenlampe glänzte. Einer der Beamten, der versuchte, ihm auf die Beine zu helfen, stieß mit dem Fuß dagegen, und Pearse schrie auf, als sei er getreten worden. »Geweiht!« Farnham zog Lynne fort von dem Tumult zu dem relativ stillen kleinen Raum mit dem Waschbecken. »Bist du verletzt? Ist alles okay?« Als er dann sah, dass sie außer den Flecken auf ihren Jeans, die von ihrem Sturz stammten, keinen Schaden davongetragen zu haben schien, sagte er: »Was machst du denn hier, verdammt noch mal?«
    Sie spreizte die Finger und spürte das Gefühl in ihren lädierten Arm zurückkommen. »Alles in Ordnung. Aber da war etwas im Keller«, sagte sie. »Anna Krleza …« Sie würden zu spät kommen, weil sie nicht die richtigen Fragen gestellt hatte, und durch zwei andere Ermittlungen beansprucht und abgelenkt worden war.
    »Die anderen gehen schon rein, Lynne. Was hast du hier gemacht?« Nie zuvor hatte sie ihn so wütend gesehen.
    »Das hier«, sagte sie und zeigte ihm Nasims Buch, das noch neben dem Waschbecken lag. »Nasim Rafiq hat vieles davon aufgeschrieben – Namen, Adressen … Ich weiß nicht. Ich kam, um es zu holen.«
    Er wollte etwas sagen, aber ein Ruf von der anderen Seite des Hofs hielt ihn davon ab. Lynne folgte ihm. Die

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