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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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zu flackern und drohte, auszugehen und sie in dem dunklen Gehäuse zurückzulassen. Es war die Flamme einer Kerze in einem roten Glas. Eine Flamme verbrauchte zwar Sauerstoff, aber Anna wollte nicht, dass sie ausging und sie allein in der erdrückenden Dunkelheit zurückließ.
    Lynne musste dringend mit Roy Farnham sprechen, aber der Empfang des Mobiltelefons war zwischen den hohen Gebäuden gestört und extrem undeutlich. »Pearse?«, sagte er. »… Matthew Pearse ist …« Seine Stimme war weg, dann aber plötzlich wieder klar zu hören. »Wo bist du, Lynne?« Der Empfang wurde von Rauschen unterbrochen. Sie ging weiter in den kleinen schmalen Raum und konnte wieder klar hören. »… Lynne?«
    »Ich bin in der Beratungsstelle.«
    »Was? Wo? Lynne, hör zu …« Seine Stimme wurde leiser.
    »In der Beratungsstelle«, sagte sie und ging näher zum Fenster, um das Signal wieder zu bekommen.
    »… in …«
    »Was? Es ist hoffnungslos. Ich komme rüber.« Sie blieb an den unebenen Brettern hängen. Es war gefährlich, sich hier in der Dunkelheit zu bewegen. Der Empfang war wieder deutlich. »Ich sagte, ich bin …«
    Sie hielt inne. Da war etwas, da draußen, auf der anderen Seite des Hofs. Ein Licht, ein schwacher Schimmer fiel auf das schwarze Viereck des Hofs, tief unten, nahe am Boden. Ein Licht im Schatten der Lagerhauswand? Etwas Metallisches glänzte in … in was? Die Wolken bedeckten den Mond. Sie ging vorsichtig weiter und versuchte, das Licht zu lokalisieren, aber der Hof lag im Dunkeln. Es war nur ein schwacher Schimmer, nein … doch, da war es wieder. »Roy«, sagte sie. »Roy?«
    »… Lynne?«
    Das Handy, das verdammte Handy! Sie hatte eigentlich keinen Dienst und hatte deshalb das Funkgerät nicht mitgenommen. Sie behielt den Lichtschein im Auge. Immer wieder verlor sie das schwache Flackern und entdeckte es dann erneut. Sie sprach weiter ins Telefon und sagte immer wieder das Gleiche, damit Roy sich aus den wirren Bruchstücken die Nachricht zusammenreimen konnte. »Jemand oder etwas ist hier im Hof. Bei der Beratungsstelle. Im Hof. Jemand ist da. Im Hof. In der Beratungsstelle.«
    »… höre dich, Lynne. In …«
    Sie war nicht sicher, wie groß der Bereich war, in dem die Empfangsstörung auftrat. Sie musste eine Entscheidung treffen. Sie konnte zu ihrem Auto zurückgehen und so weit wegfahren, dass sie sich besser verständlich machen konnte, dann aber gab sie ihm – wer oder was auch immer es war – die Chance, zu entkommen. Und wenn sie Recht hatte, wenn Matthew Pearse Gemma Wishart, Katja und die Frau in Ravenscar ermordet hatte, dann war Anna Krlezas Leben in Gefahr. Wenn sie nicht schon tot war. »Lynne … mich?«
    Das Licht verschwand. Sie traf ihre Entscheidung. »Ich gehe da rüber«, sagte sie. »Im Hof. In der Beratungsstelle. Der Hof. Die Beratungsstelle.«
    »… nicht … Weg.« Sie konnte nicht sagen, ob er sie verstanden hatte oder nicht. Aber sie schaltete ihr Handy aus, denn sie wollte nicht, dass sein Klingeln irgendjemanden vorwarnte, wer immer es war. Sie schickte ein Dankgebet zum Himmel, dass die Laternen hinter dem Zentrum nicht funktionierten, drehte langsam und vorsichtig den Knopf an der Hintertür und öffnete sie so leise wie möglich. Die Tür klemmte und machte dann ein leises Geräusch, als sie sich von der gestrichenen Wand löste und aufging. Lynne stellte ihre Tasche auf den Boden, zog eine winzige Taschenlampe in Form eines Bleistifts heraus, die sie immer bei sich trug, und schlüpfte in den Hof. Ihren Blick hielt sie fest auf die Stelle gerichtet, wo der Lichtschimmer gewesen war. Vorsichtig tastete sie sich mit den Füßen über den unebenen Boden vorwärts. Durch die hohen Mauern des Lagerhauses fiel das Straßenlicht nicht in den Hof, und die Wolken waren dick und schwer. Sie sah die Mauer kaum, spürte sie eher, erahnte etwas Festes, denn die Luft vor ihr fühlte sich anders an. Ihre Hände glitten über eine Wand.
    Hier. Hier war es, was immer schon da gewesen war. Sie tastete unten an der Wand mit der Lichtquelle entlang, und ihre Hände berührten Gitter und klebrige Spinnennetze. Die Wolken zogen weiter, und der Mond schien in den leeren Hof. Was auch immer es in dem verlassenen Lager zu beleuchten gab, das Licht, das sie gesehen hatte, musste durch einen Riss in den Brettern oder durch die verdreckten Fenster gedrungen sein. Als der Mond verschwand, wurde die Nacht wieder dunkler und schließlich vollkommen schwarz. Lynne ging an

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