Nachtengel
Und darunter stand mit einem anderen Stift geschrieben: Überprüfen! 25, 127, 204. Und dann mit Bleistift hingekritzelte Buchstaben: JOH Überprüfen? Roz sah sich dies eine Weile an und dachte nach. Die Zahlen bezogen sich auf die Zeilen, die mit einem Sternchen markiert waren, das waren offensichtlich die problematischen Stellen. Aber um welches Problem es ging … Sie schüttelte den Kopf. Es sagte ihr nichts.
Sie machte mit ihrem Faxgerät eine Kopie der Niederschrift und zog eine Kopie auf eine Diskette, um sicherzugehen. Dann nahm sie das Telefon und rief die Nummer an, die DS Anderson ihr am Morgen gegeben hatte. Sie vermutete, dass man bei der Polizei inzwischen über das Fehlen der Dateien Bescheid wusste. Sie musste ihnen mitteilen, dass wenigstens ein Teil wieder aufgetaucht war.
Hull, Dienstagabend
Es war fast Mitternacht, und Roy Farnham war noch bei Lynne. Sie hatten gleich nach seiner Ankunft gegessen und sprachen, am Tisch sitzend, die Fälle und mögliche Zusammenhänge durch. Er suchte immer noch das Zimmermädchen des Hotels, die Frau, die anscheinend die Leiche gefunden hatte und dann verschwunden war. Er wollte wissen, ob Lynne Fortschritte gemacht hatte.
»Noch nicht«, sagte sie. »Ich suche. Aber diese Fälle – glaubst du immer noch, dass es da eine Verbindung gibt?«
Er runzelte die Stirn. »Ich weiß es nicht. Wer immer das mit Gemma Wishart war, der hat sie halb zu Tode geprügelt und dann erdrosselt. Eine schlimme Sache. John Gage«, er sah Lynnes fragenden Blick, »der Pathologe, der diesen Fall untersucht hat, sagt, dass auf ihren Hals mehrmals starker Druck ausgeübt und dann wieder reduziert wurde. Er muss sie halb erwürgt und dann wieder losgelassen haben, damit sie wieder zu sich kam. Wahrscheinlich mehr als ein Mal.« Sexueller Sadismus. Lynne dachte über die Psyche dieses Menschen nach, der einen langsamen Mord, ein solch verzögertes Sterben genießen konnte. Farnham war noch nicht fertig. »Eine Menge Verletzungen wurden ihr nach dem Tod beigebracht. Er hat weiter auf sie eingeschlagen, als sie bereits tot war. Ich finde, das sieht nach starker Emotion aus, nach exzessiver Wut. Also war es der Freund.«
Lynne goss mehr Wein nach. »Hat er Sex mit ihr gehabt?«
Er nickte. »Alle Proben sind positiv. Er ist Sekretor, bei dem sich aus den Körperflüssigkeiten die Blutgruppe erkennen lässt. Wir haben also seine Blutgruppe.«
»Vergewaltigung? Wenn es das Treffen einer Prostituierten mit einem Freier war, hätte es vielleicht Sex vor der Gewalttätigkeit gegeben, aber wenn man bei der Obduktion Sperma in oralen, analen und vaginalen Proben gefunden hat …«
Farnham schien auszuweichen. »Gage meint, ja.«
»Aber?« Er hatte ihr also nicht alles gesagt. Sie hatte gehofft, dass er ihr nichts verheimlichen würde.
Er zuckte die Schultern, als wolle er sagen: Ich hab nicht davon angefangen. »Gage sagt, es sieht aus, als habe er Sex mit ihr gehabt, nachdem er sie umgebracht hat oder noch während er sie tötete. Etwas lief auch noch, nachdem sie schon tot war.«
Lynne hatte das Gefühl, dieser Wahnsinn sei ansteckend. Aber worum ging es? Um den Wahnsinn eines Menschen, der eine Frau tötete, während er Sex mit ihr hatte, und dabei vielleicht alle Angst, Panik und schließlich den Tod mit seinen Begleitumständen genießen konnte … Oder der Wahnsinn eines Mannes, der eine tote Frau vergewaltigen wollte. Sie musste es wissen, wollte aber nichts davon hören. Sie verzog das Gesicht zu einer Grimasse des Ekels. »Was hältst du von dem Freund?«
Farnham runzelte die Stirn. »Er ist schwer zu durchschauen. Sehr cool. Ich habe ihn über seine Rechte belehrt, und er nahm es ohne weiteres hin. Anderson sagte, dass er nicht überrascht schien, als er erfuhr, dass Wishart tot sei – eher resigniert. Er sagte, er hätte gemeldet, dass sie vermisst werde, weil er nicht glaubte, dass sie die E-Mail geschickt hatte – was stimmte –, aber dann, als der Brief ankam, hätte er gedacht, sie hätte wohl doch geplant, wegzugehen. Er sagte, sie hätte immer schon vorgehabt, nach … irgendeinem unaussprechlichen Ort in Russland zurückzukehren. Er behauptete, sie hätte da drüben einen Freund.«
»Und was ist mit ihrer Arbeit als Begleiterin?« Lynne fand Hagans Äußerungen zu diesem Punkt unglaubhaft, und sie sah Farnham an, dass auch er nicht besonders überzeugt war.
»Ich habe ihm die Fotos gezeigt. Das hat ihn aufgeregt.« Farnham hielt einen Moment inne und
Weitere Kostenlose Bücher