Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
Vom Netzwerk:
gemeldet?«
    »Er war hier, als ich kam«, sagte Joanna. Roz war erleichtert und zugleich verwirrt. Er war wieder da und hatte nicht einmal mit ihr gesprochen. Joanna fuhr fort: »Ich fand es nicht gut … Er arbeitet im Moment von zu Hause aus.« So unterdrückte sie Roz' Versuch, Fragen zu stellen. »Nicht jetzt, wir müssen Entscheidungen treffen. Das weitere Bestehen der Gruppe hängt von uns ab, denn sonst unternimmt niemand etwas. Ich will jemanden mit Abschlussexamen finden, der Gemmas Seminare für den Rest des Semesters übernehmen kann. Kannst du ihre Vorlesungen halten?« Es war Joannas Art der Bewältigung, sich und alle anderen unter Bergen von Arbeit zu begraben, damit keine Zeit zum Nachdenken blieb.
    Die beiden Frauen verbrachten eine Stunde mit der Planung der Forschungsarbeit für die neue Gruppe und ihrer Finanzierung bis Ende des nächsten Jahres. »Wir werden diese Anzeigen so schnell wie möglich aufgeben müssen«, sagte Joanna. Sie sah auf ihre Uhr. »Ich habe schon die Genehmigung für die Einstellung der neuen Forschungsassistenten. Ich werde sie verpflichten, bevor irgendeiner seine Meinung ändert.« Das bezog sich auf Peter Cauldwell. Roz fragte sich, ob der ehemalige Direktor des Seminars versuchen würde, die Gruppe aufzulösen, bevor Joanna sich seiner Verfügungsgewalt und Kontrolle entzog. »Wir werden uns überlegen müssen, wer die Software übernehmen könnte«, fuhr Joanna fort.
    Dies konnte und wollte Roz nicht unkommentiert lassen. Sie erinnerte sich an den netten, zweifellos talentierten jungen Mann auf Joannas Party. »Wir haben Luke für die Software«, sagte sie.
    »Na ja …«, antwortete Joanna nach einer Pause. »Ich wollte das jetzt erst mal hintanstellen. Wir haben genug, worüber wir nachdenken müssen. Aber Luke ist seit heute Früh beurlaubt.«
    Roz war so schockiert, dass sie schwieg. Luke hatte immer gesagt, Joanna würde keine Möglichkeit ungenutzt lassen, ihn loszuwerden, aber so etwas … »Warum?« Ihr Ton kam sogar ihr selbst scharf vor. »Luke ist nichts zur Last gelegt worden«, sagte sie und versuchte, ruhig zu klingen. Sie wollte nicht überlegen, ob Luke vielleicht etwas vorgeworfen wurde. »Er ist nicht verhaftet worden. Sie wollten nur mit ihm sprechen.«
    Joanna zögerte und sah auf die Papiere auf ihrem Schreibtisch. »Ich weiß«, sagte sie. »Aber das ist nicht das Problem.« Sie sah Roz an. »Ich habe Luke heute Vormittag suspendiert, weil ich ihn dabei ertappt habe, als er pornografische Bilder aus dem Internet herunterlud. Es wird zu einem Disziplinarverfahren kommen. Es tut mir Leid.«
    Roz war erschöpft. Irgendwie stellte der Gedanke, dass Luke Pornoseiten aus dem Netz sammelte, einen schrecklichen Zusammenhang zu den Fotos dar, die auf ihrem Bildschirm erschienen waren und durch die er ihr fremd geworden war. Aber würde er so etwas während der Arbeit herunterladen? Joanna musste etwas verwechselt haben. Luke hatte es jedoch nicht abgestritten und war, ohne ein Wort zu Roz und ohne Streit mit Joanna, gegangen.
    Das Schweigen wurde peinlich. Roz fiel nichts ein. Sie war wütend – auf Joanna, weil sie Luke suspendiert hatte, auf Luke, weil er sich so angreifbar gemacht hatte, und auf den ganzen Zirkus mit der Universitätspolitik. Am liebsten hätte sie alles hingeschmissen und wäre nach Haus gegangen. Sie hatte keine Lust mehr. Es war ihr scheißegal, wie Luke es ausgedrückt hätte. Sie raffte die Papiere auf dem Schreibtisch zusammen. »Ich nehme die hier mit in mein Büro«, sagte sie. »Ich melde mich morgen bei dir.« Joanna zog die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts, als Roz die Tür hinter sich schloss.
    Ihr eigenes Büro kam ihr düster und ungemütlich vor, also ging Roz zum Computerraum, um an dem Programm zu arbeiten, das sie und Luke zusammen entwickelt hatten. Sie hatte Notizen, die sie ausarbeiten musste. Der Raum war leer und still. Kein Geruch nach frisch gekochtem Kaffee und keine Unterhaltung, weder Lukes Theorien und lange Gespräche über die Dinge, die er gerade las, von populären Thesen der Physik bis zu komplizierten mathematischen Problemen, weder spöttische Bemerkungen noch eine Unterhaltung über ihre gemeinsame Arbeit, wobei von Roz die Ideen kamen und Luke sie abzuschießen versuchte, während sie ihr Programm weiterentwickelten und verfeinerten. Dass Luke nicht da war, regte sie auf, und sie konnte nicht arbeiten. Sie wählte seine Nummer, aber wieder war nur der Anrufbeantworter dran. Sie wollte schon

Weitere Kostenlose Bücher