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Nachtengel

Titel: Nachtengel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Danuta Reah
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Erklärung: »Mein Mann ist schwer krank«, als das Tabu respektiert, das es sein sollte.
    Sie erinnerte sich an den Tag, als sie ihn kennen gelernt hatte. Sie war gerade nach Sheffield gekommen, um ihre Tätigkeit aufzunehmen, und sie war noch benommen von den plötzlichen, unerwarteten Veränderungen in ihrem Leben. Sie fühlte sich wie jemand, der sich auf einem ruhigen, sonnigen Segelturn flussabwärts befindet und um den herum plötzlich ein Sturm losbricht, während er das unheilvolle Tosen von Stromschnellen vernimmt. Damals war es ihr wirklich nicht besonders wichtig gewesen, ob sie die Lautsysteme der englischen Sprache erforschte oder an einer Supermarktkasse sitzen sollte.
    Sie hatte sich mit einer bestimmten Software vertraut gemacht und versucht, ein Programm zu installieren, das sie bei ihren früheren Forschungsarbeiten benutzt hatte. Der Computer streikte, und das Programm lief nicht. Sie konzentrierte sich allerdings auch nicht darauf, sondern hatte nur aus dem Fenster gestarrt und sich gefragt, was sie tun sollte, nicht nur im Moment, sondern auch in den nächsten Monaten und Jahren.
    »Tun Sie das mit Absicht?« Ein Mann stand hinter ihr und sah auf den Bildschirm. Sie zuckte zusammen, wandte sich auf dem Drehstuhl um und war wütend, dass jemand sie unterbrochen und ertappt hatte. »Ich frage nur«, sagte er, »weil ich für diese Geräte Verantwortung trage, und wenn ich gefragt werde, was mit diesem hier passiert ist, möchte ich in der Lage sein, Auskunft geben zu können.« Er erkundigte sich mit milde forschendem Unterton. »Ich schätze«, fuhr er fort, »dass das Programm, das Sie gerade laden, für ein anderes Betriebssystem gedacht ist und im Moment alles, was auf der Festplatte dieses Rechners ist, überschreibt.« Er lächelte sie vergnügt an. »Immer funktioniert das nicht, aber mit Sicherheit dann, wenn es nicht so laufen soll.«
    Sie starrte ihn an. Einen Augenblick hatte sein sanftes, bescheidenes Lächeln sie sehr an Nathans Lächeln erinnert. Aber damit war die Ähnlichkeit auch schon zu Ende. Seine Stimme hatte einen leicht singenden Tonfall, der an irische Abstammung denken ließ. Sein Haar war dunkel, während Nathans blond war, und seine Haut hatte die fast durchsichtige Blässe der Kelten, während Nathans Teint auf einen Menschen schließen ließ, der viel Zeit im Freien zubringt – jedenfalls war das so gewesen. »Es tut mir Leid«, sagte sie, und ihre Stimme klang nervös. »Ich war zerstreut.«
    »Das juckt mich nicht«, sagte er. »Sie werden sich aber vielleicht bei dem Typ entschuldigen müssen, der darauf seine Doktorarbeit geschrieben hat.« Er schien das Interesse an der Sache zu verlieren. »Sie sind also die neue Forschungsassistentin«, sagte er.
    Und das war der Anfang ihrer Freundschaft gewesen. Bis … Sie waren abends zusammen in Leeds ausgegangen und hatten Jazz gehört. Sie waren mit Lukes Motorrad gefahren, und sie erinnerte sich noch genau an die Rückfahrt, wie die Straße unter den Rädern dahinglitt, an den hellen Mond, die Geschwindigkeit und die schweigende Vertrautheit, mit der sie durch ihre Bewegungen gemeinsam die Maschine steuerten, die erfrischende Kühle der Nachtluft auf ihrem Gesicht. Sie wusste noch, wie ein Wagen ohne Vorwarnung vor ihnen ausgeschert war und Luke gelacht hatte, als das Motorrad schleuderte, und dann lag die Straße wieder gerade vor ihnen, und er hatte beschleunigt, während weit hinter ihnen die Autohupen schrillten. Der Adrenalinstoß wirkte noch nach, als sie Roz' Wohnung erreichten, und sie hatten sich zum ersten Mal geliebt, waren zusammen auf den Teppich vor dem Kamin getaumelt. Der Sex war in seiner Intensität fast gewaltsam, und sie fühlte ihr Blut durch die Adern brausen. »Ich will das schon, seit ich dich zum ersten Mal gesehen habe«, sagte er ihr in einem Moment der Stille, bevor sie Zeit hatten, darüber nachzudenken, was sie da getan hatten.
    »Warum hast du sechs Monate gewartet?«, hatte sie gefragt, denn sie glaubte ihm nicht ganz. Sie hatten gelacht, und in diesem Moment schien alles möglich.
    Aber jetzt drückte sie sich vor dem Problem. Glaubte sie, dass Luke Gemma getötet haben könnte? Sie erinnerte sich an seine plötzlich aufflammende Wut, als er den Aktenschrank zuschlug. Und an die Fotos mit der befremdlichen Atmosphäre von Brutalität. Luke hatte eine dunkle Seite. Es war eine persönliche Düsterkeit, die sie gut kannte, eine Tendenz zu Depressionen, seine Saufgelage und seine

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