Nachtengel
es aber, ihr eine höfliche Antwort zu geben. »Nein, es ist noch nicht im Intranet. Marcus will es als kommerzielle Software herausbringen. Er wird vielleicht eine gekürzte Fassung für die Studenten hier zur Verfügung stellen. Aber wir richten eine Pilotversion zum Testen ein. Das werden Sie sich mal ansehen müssen. Es wird im Rundbrief angekündigt.«
»Gut. Ich werde die Augen offen halten.« Sie lächelte ihm zu, als sie sich zum Gehen wandte. »Danke, Sean. Das hat mir weitergeholfen.«
»Mir hat's nichts gebracht«, murmelte er, aber es klang eigentlich nicht böse.
12
Sheffield, Donnerstagvormittag
Als Roz an ihren Schreibtisch zurückkam, hörte sie ihre Voicemail ab. Keine Nachricht von Luke, vielleicht hatte er sie zu Hause angerufen. Der Gedanke ließ ihr keine Ruhe. Wenn er mit ihr hätte Kontakt aufnehmen wollen, warum hatte er sie nicht im Institut angerufen? Vielleicht befürchtete er, dass Joanna abnehmen könnte. Vielleicht war er immer noch wütend – Luke konnte nachtragend sein – und wollte nicht mit ihr sprechen. Noch nicht.
Sie versuchte, sich auf die Arbeit zu konzentrieren, mit der sie heute früh so gut vorangekommen war, aber ihre Gedanken schweiften ab. Sie grübelte über Lukes Schweigen nach, dann wieder sorgte sie sich wegen der ungelösten Detailfragen in Gemmas Bericht. Sie zwang sich zur Konzentration, bis sie ihre Arbeit beendet hatte und die Daten durch das Programm laufen lassen konnte, um zu sehen, ob es die Kennzeichen erkannte, die sie zur Markierung verschiedener Eigenheiten des Verhörs verwendet hatte. Als sie sich in das Problem vertiefte, gelang es ihr, die Sorge um Luke und die Irritation über Gemmas unfertigen Bericht zu verdrängen. Sie gab den Befehl ein und wartete, um zu sehen, was passieren würde.
Das Programm stürzte ab. Mist! Das kam davon, wenn sie allein mit einem System arbeitete, das noch nicht ausgereift war. Sie brauchte Lukes Unterstützung. Ohne ihn kam sie nicht weiter. Joanna würde ihre lächerliche Suspendierung aufheben müssen, oder sie, Roz, würde die nächsten paar Wochen untätig verbringen und … Wenn aus Joannas Plänen etwas wurde, müsste sie vielleicht mit Sean zusammenarbeiten. Sie fragte sich, warum sie das so deprimierend fand. Sean war intelligent, interessant … aber er war nicht Luke. Das war das Problem.
Sie brauchte etwas, das sie ablenkte. Gemmas Bericht. Für Joanna war es einfach, den Bericht für vollständig zu erklären und von Wirtschaftlichkeit zu reden, aber Roz wollte der Sache auf den Grund gehen. Sie war sicher, dass sie alles herausbekommen konnte, wenn sie sich nur Zeit ließ. Und jetzt hatte sie Zeit. Aber was konnte sie noch tun, das sie nicht schon getan hatte? Sean hatte versprochen, noch einmal nachzusehen, was Gemma sich im Archiv vorgenommen hatte, aber sie war ziemlich sicher, dass er nichts tun würde. Sollte sie es noch einmal mit Holbrook versuchen? Sie tippte mit dem Stift gegen ihre Zähne und hörte innerlich Lukes Stimme sagen: Herrgott, Bishop, willst du, dass ich durchdrehe? Sie legte den Stift hin.
Joanna hatte gesagt, dass noch jemand das Band untersuche. Bill Greenhough in York. Roz kannte ihn nicht besonders gut, aber sie hatte ihn bei Tagungen gesehen. Er schien ein recht angenehmer, zugänglicher Mensch zu sein. Nach einigem Nachforschen in verschiedenen Telefonbüchern hatte sie die Nummer, und zwanzig Minuten später telefonierte sie mit ihm.
Sie erklärte, wer sie war, und sagte dann: »Ich habe gehört, dass Sie sich mit einem Tonband der Humberside Police befassen.«
»Ja«, sagte er vorsichtig.
»Meine Kollegin, Gemma Wishart, hat an diesem Band gearbeitet«, erklärte Roz. »Sie …«
»Sie ist umgekommen, nicht wahr? Das tut mir Leid.« Ein knapper Ausdruck des Bedauerns unter Kollegen. Dann klang seine Stimme anders. »Ach Gott, es hatte doch nichts hiermit zu tun, oder?«
»Nein«, versicherte Roz sofort. »Nein, überhaupt nichts.« Sie dachte an die Polizei, die gesagt hatte, Gemma hätte als Prostituierte gearbeitet. »Es war nur – Gemma hat mich gebeten, den Bericht fertig zu machen, und dann, also … ist es passiert. Es ist mir einfach nicht recht, dass ihre Arbeit unfertig liegen bleibt.«
»Darüber kann ich nicht mit Ihnen sprechen«, sagte er, klang aber unsicher.
»Ich wollte nur wissen, was Sie von den Zeilen halten, die Gemma noch klären wollte. Hat man Ihnen das gesagt? Es war …« Sie blätterte in den Seiten, die vor ihr
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