Nachtfalter
sitzen wir fest?« frage ich ihn.
»Die Einwohner von Menidi haben die Straße blockiert, weil sie verhindern wollen, daß in Menidi eine Mülldeponie angelegt wird.«
»Was? In Menidi soll eine Mülldeponie entstehen?« wundere ich mich. Das höre ich zum ersten Mal.
»Nicht direkt.«
»Ja, wogegen protestieren sie dann?«
»Dagegen, daß das Ministerium überlegt, in einer von zehn Gemeinden im Großraum Attika eine Kläranlage zu errichten.«
»Wieso erheben sie dann gegen eine Mülldeponie Einspruch?«
»Menidi zählt zu den zehn Gemeinden, die als Standort der Kläranlage in Frage kommen. Aber die Einwohner sind prinzipiell mißtrauisch gegen alle Pläne der Obrigkeit und wollen sich von vornherein absichern. Egal, was auf sie zukommt, ob Kläranlage oder Mülldeponie.«
Vor dem Sattelschlepper steht ein weißer BMW , der letzte Schrei. Sein Fahrer lehnt lässig an der Kühlerhaube. In der Rechten hält er eine Zigarre, in der Linken ein Handy, in das er englisch spricht. »Yes, yes« , schreit er, um sich verständlich zu machen. »Not more than an hour.«
Sollte er damit meinen, daß er sich nicht mehr als eine Stunde verspäten wird, ist er nicht ganz bei Trost, denke ich.
»Und was kann ich dafür, können Sie mir das sagen?« bricht es aus dem Lastwagenfahrer neben mir hervor. »Ich transportiere tiefgefrorenen Fisch – hochempfindliche Ware! Wenn die Blockade bis zum Abend andauert, muß ich eine Bratpfanne auftreiben, um ihn darin zu braten, denn sonst fängt er an zu stinken, und ich kann alles auf den Müll kippen. Jeder Landstreicher und jedes Kuhkaff kann sich in Griechenland hinstellen und die Straße sperren, und unsereins hält man von der Arbeit ab.«
»Sie haben Glück, Sie befördern bloß Fisch«, ertönt eine Stimme neben mir. Ich drehe mich um und erblicke den Fahrer des BMW , der mit der Zigarre im Mund auf das offene Wagenfenster des LKW -Fahrers zuschlendert. »Was soll ich da sagen? Mich erwarten ausländische Geschäftsleute in Thessaloniki, um über einen Auftrag in Milliardenhöhe zu verhandeln, und für mich besteht die Gefahr, daß ich ihn verliere.«
»Ihre Milliarden gehen mir am Arsch vorbei«, entgegnet der Lastwagenfahrer. »Ich tue alles, um den kleinen Leuten was zu essen zu bringen.«
Der Fahrer mit der Zigarre blickt ihn spöttisch an. »Ich rühre Tiefkühlkost nicht an. Ich esse nur fangfrischen Fisch, der noch nach Meer duftet.«
»Wissen Sie, was Sie mich können?« schreit der Lastwagenfahrer außer sich. »Ich kippe Ihnen gleich den Fisch auf Ihren geliebten BMW , und dann können Sie zusehen, wie Sie zu Fuß nach Thessaloniki kommen! Ihr Provinzler, vor zehn Jahren habt ihr noch ins Plumpsklo gekackt, und jetzt spielt ihr euch als Milliardäre auf!«
Ich überlasse sie ihrem Klassenkampf. Mein Plan, die Nationalstraße zu nehmen, um den Stau auf dem Kifissias-Boulevard zu umfahren, ist nicht ganz aufgegangen. Ich werfe einen Blick nach hinten, ob ich vielleicht per Rückwärtsgang vom Fleck komme, doch in der Zwischenzeit reicht die Autoschlange weit zurück. Ein Stück vor mir, ungefähr hundert Meter entfernt, stehen zwei Verkehrspolizisten an ihren Streifenwagen gelehnt und studieren frustriert die Lage.
»Wann wird die Straße wieder freigegeben?« frage ich, nachdem ich mich ihnen vorgestellt habe.
»Was soll ich Ihnen sagen, Herr Kommissar?« antwortet der eine. »Ursprünglich war von vier Stunden die Rede, doch jetzt ist das Streikkomitee zusammengetreten. Vielleicht verlängern sie die Straßensperre um nochmals vier Stunden, vielleicht aber auch um vierundzwanzig Stunden oder noch mehr. Die haben alle Trümpfe in der Hand.«
Ich erläutere ihnen, wohin ich unterwegs bin und aus welchem Grund. »Ich verstehe Sie vollkommen, das einzige, was wir Ihnen anbieten können, ist, Sie mit einem Streifenwagen hinzufahren«, entgegnet der andere.
»Und was ist mit meinem Wagen?«
Er lacht auf. »Höchstwahrscheinlich finden Sie den an derselben Stelle vor, wenn Sie fertig sind. Sollte wider Erwarten die Straße freigegeben werden, bringen wir ihn zum Polizeirevier von Nea Erythrea, und Sie können ihn dort abholen.«
Ich nehme den Vorschlag an und zeige den beiden meinen Wagen. Vor dem Sattelschlepper haben sich an die fünfzehn Kraftfahrer versammelt. Der Lastwagenfahrer ist mit dem Fahrer des BMW aneinandergeraten, und die übrigen versuchen, die Streithähne zu trennen, indem sie ihnen zwischendurch auch einige Ohrfeigen verpassen. Der
Weitere Kostenlose Bücher