Nachtfalter
Verkehrspolizist wirft ihnen einen gleichgültigen Blick zu. »Das reinste Irrenhaus«, sagt er zu mir und geht an ihnen vorüber, in der Gewißheit, daß die Auseinandersetzung nicht in seinen Zuständigkeitsbereich fällt. Er ist ja schließlich kein Psychiater.
36
D er Streifenwagen bringt mich über diverse Umleitungen in die Aristotelous-Straße. Bevor ich bei Nummer 8 läute, bleibe ich kurz stehen und betrachte mir das Haus. Auf den ersten Blick erinnert es an eine in die Jahre gekommene Schönheit. Es wurde zu einer Zeit errichtet, als der Wert der illegalen Baugründe in Varypombi in den Augen der Athener zu steigen begann. Man hat mit viel Liebe zum Detail gebaut, es dann aber einfach seinem Schicksal überlassen, als hätte man plötzlich jegliches Interesse daran verloren. Das Weiß des Außenanstrichs ist in Dunkelbraun übergegangen, der Verputz bröckelt ab, und die wenigen Blumen im Vorgarten werden von Brennesseln und Wildkräutern erstickt. Die Gartentür geht quietschend auf. Der zementierte Weg zu den Treppenstufen des Hauseingangs ist voller Risse und von Unkraut umwuchert.
Ich steige die Treppenstufen hoch und läute an der Klingel der Eingangstür. Es scheint, daß man mich bereits ungeduldig erwartet, denn die Tür geht sofort auf. Es erscheint eine Frau, die an die Fünfzig sein muß, doch gut und gern zehn Jahre älter wirkt. Ihr Haar ist knallrot gefärbt und liegt in Löckchen um ein Gesicht, von dem man nicht recht sagen kann, ob es dick oder aufgedunsen ist. Sie muß früher einmal hübsch gewesen sein, doch nun macht ihr Körper den Eindruck eines ausgeleierten Korsetts.
»Kommissar Charitos? Kommen Sie doch herein«, sagt sie. »Ich bin Loukia Karamitri.«
Sie stößt eine Tür zu ihrer Linken auf und führt mich ins Wohnzimmer. Auch hier ist der ehemalige Prunk verblichen. Sofa und Sessel sind bedeckt mit einem glänzendgrünen Stoffüberwurf, um ihr heruntergekommenes Aussehen zu verbergen, ein Trick, der ganz zu dem knallrot gefärbten Haar der Karamitri paßt. In einem Sessel sitzt ein Mann unbestimmten Alters, dessen Gesicht sich hinter einem schwarzen Vollbart, schwarzem Zottelhaar und schwarzer Sonnenbrille verbirgt. Er sieht aus wie ein moslemischer Religionswissenschaftler aus Ägypten oder Palästina, wie sie zuweilen im Fernsehen zu sehen sind.
»Das ist Kosmas Karamitris, mein Ehemann«, sagt die Karamitri. »Ich habe ihn gebeten dabeizusein, da ihn unser Gespräch auch betrifft.«
Karamitris blickt mich verdrossen an, ohne die geringsten Anstalten zu einer Begrüßung zu machen. Mir fällt ein, daß er früher einmal Schnulzensänger war.
»Setzen Sie sich doch«, sagt sie zu mir und deutet auf den Sessel mit dem glänzendgrünen Überwurf.
Ich komme gleich zur Sache. »Ich würde gerne etwas über das von Ihnen geführte Unternehmen, die Greekinvest, erfahren.«
»Was soll ich Ihnen sagen? Ich weiß nichts«, ist ihre Antwort. Sie scheint das Mißtrauen in meinem Blick zu erfassen, denn sie beeilt sich hinzuzufügen: »Ich weiß, das klingt komisch, aber wenn ich Ihnen die ganze Geschichte erzähle, werden Sie begreifen.«
»Schön, erzählen Sie mir also die Geschichte.« Ich weiß nicht, ob sie mir die Wahrheit oder ein Ammenmärchen auftischen wird. Aber ich lasse sie vorerst reden und werde sie erst danach in die Mangel nehmen.
»Sie werden sicherlich wissen, daß ich mit Dinos Koustas verheiratet war.«
»Allerdings.«
»Dann werden Sie auch wissen, daß ich ihn verlassen habe.«
»Ganz recht.«
Sie macht eine kleine Pause, offensichtlich um den Ablauf ihrer Aussage zu planen. »Dinos Koustas hatte keinen einfachen Charakter, Herr Kommissar. Er war aufbrausend, selbstherrlich und wollte immer seinen Willen durchsetzen. Ich war damals noch eine ganz junge Frau, ich war anschmiegsam und liebesbedürftig, und er verpaßte mir nur Fußtritte. Ich wollte mein eigenes Leben leben, und er machte mir zwei Kinder und sperrte mich ins Haus ein.«
Sie hält inne und wirft ihrem zweiten Mann einen Blick zu. Vielleicht erwartet sie, daß er ihr in irgendeiner Weise beisteht, doch er bleibt ausdruckslos, wie ein blinder Bettler ohne Akkordeon. Sie begreift, daß er ihr jegliche Hilfeleistung verweigert, und entschließt sich, die Sache allein zu Ende zu bringen.
»Ich hielt es vierzehn Jahre lang bei ihm aus. Meine einzige Freude war das Rembetiko. Ich ging abends manchmal hin, um die Zeit totzuschlagen, und lernte so Kosmas kennen. Wahrscheinlich suchte ich nach
Weitere Kostenlose Bücher