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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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doch sie starrt weiterhin auf den Gehsteig. »In Ordnung, reden wir miteinander«, sage ich. »Was möchtest du mir sagen?«
    »Nicht im Wagen. Ich möchte mich in aller Ruhe mit dir unterhalten.«
    Ich fühle, wie sich mein Herz zusammenkrampft. Sie hat sich bestimmt entschlossen, ihr Studium abzubrechen, um mit dem Mindestgehalt in den öffentlichen Dienst zu treten und Ousounidis zu heiraten. Bestimmt will sie mir das nun ganz sachte beibringen. So viele Jahre Studium, wobei wir jede Drachme zweimal umdrehen mußten und das Geld nicht einmal für Ferien in rooms to let reichte! Und plötzlich kommt ein Arzt daher, und sie läßt alles sausen. So ist es eben, die Spatzen wollen hoch hinaus, was auf zwei Arten gelingen kann: Entweder fliegen sie aus eigener Kraft, oder die Katze trägt sie im Maul aufs Dach. Katerina ist vom ersten zum zweiten Weg übergegangen. Mein gesunder Menschenverstand rät mir, geduldig abzuwarten, doch ich kann mich nicht zurückhalten.
    »Ist es wegen deines Studiums?«
    »Nein, über mein Studium möchte ich nicht reden, sondern über etwas anderes.«
    Ich halte den Seufzer der Erleichterung nur mühsam zurück. Wenn es nicht um ihr Studium geht, ist ja alles in Ordnung. Für alles weitere findet sich eine Lösung.
    »Heute aber lieber nicht. Ich weiß nicht, wann ich von der Dienststelle loskomme«, sage ich, und gleich packt mich eine andere Furcht, nämlich daß sie das als Affront auffassen könnte. »Ich weiche dem Gespräch nicht aus«, rechtfertige ich mich. »Aber ich habe alle Hände voll zu tun, zwei Morde aufzuklären.«
    »Ich weiß.« Sie braucht die ganze Strecke von der Aristokleous- bis zur Ethnikis-Amynis-Straße, um sich ein Lächeln abzuringen. »Du mußt mich nicht bis vor die Tür fahren. Laß mich einfach an der Ampel aussteigen.«
    Ich blicke ihr nach, wie sie die Straße überquert, und frage mich, ob ich vielleicht dabei bin, so zu werden wie Koustas. Der ließ seinen Sohn auch nie machen, was er wollte, bis er schließlich so tief verstrickt war, daß ihn nichts mehr vor seiner Sucht retten konnte.
    Mit solchen Gedanken beschäftigt fahre ich über die Nationalstraße Athen – Thessaloniki zum Haus der Karamitri in Varypombi. Ich hatte mich telefonisch bei ihr angemeldet und gesagt, ich würde im Verlauf des Tages vorbeikommen. Als sie sich darüber aufregen wollte, daß sie den ganzen Tag herumsitzen und auf mich warten müsse, schlug ich als Alternative vor, sie könne ja ihrerseits ins Polizeipräsidium kommen. Sie gab sofort klein bei. Niemand möchte auf dem Präsidium verhört werden, alle ziehen die Wärme des häuslichen Herdes vor.
    Und so rolle ich jetzt auf dem rechten Fahrstreifen der Nationalstraße dahin. Sie ist leer, und nur wenige Wagen zischen an meinem Mirafiori vorüber. Sollen sie ruhig, das stört mich überhaupt nicht, erstens weil ich daran gewöhnt bin, daß mich selbst dreirädrige Karren überholen, und zweitens weil ich so besser über Katerina nachdenken kann. Da sie offensichtlich ihr Studium nicht abbrechen will, freue ich mich jetzt auf unser Gespräch zu zweit. Und meine Stimmung hebt sich ein wenig. Das heißt, sie hat die Zeit nicht vergessen, in der wir uns hinter dem Rücken ihrer Mutter verschworen haben. Ich muß mir nicht den Kopf zerbrechen, um zu erraten, was sie mir zu sagen hat. Da es nicht um ihr Studium geht, werde ich von Ousounidis hören. Sie wird versuchen, sein steifes Verhalten im Krankenhaus zu rechtfertigen. Dennoch ist es ein gutes Zeichen, daß sie ihre Mutter nicht dabeihaben möchte.
    Hundertfünfzig Meter vor der Abzweigung nach Nea Erythrea gerate ich in einen Stau. Vor mir stehen all diejenigen, die mich vorher noch so flott überholt hatten, und fluchen und hupen. Als sich nach zehn Minuten noch immer nichts tut, steige ich aus dem Wagen. Hundertfünfzig Meter weiter ist die Straße durch Autos, Lastwagen und Sattelschlepper vollkommen verbarrikadiert. Hinter den Fahrzeugen zeichnet sich eine Menschengruppe ab. Ein paar Leute halten unleserliche Transparente hoch, einer brüllt unverständliche Parolen durch ein Megaphon. Vor der nicht bewilligten Straßensperre formieren sich beiderseits der Straße die Sondereinheiten der Polizei, vergitterte Polizeiwagen und Streifenwagen.
    Ein Lastwagenfahrer, der auf derselben Fahrspur steht wie ich, hat eine Zigarette zwischen die Lippen geklemmt und hadert mit allem und jedem: der Landschaft, dem Verkehr, den Bullen und den Demonstranten.
    »Was ist los? Wieso

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