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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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dazwischengezwängt und gewartet. Als ich sah, wie der Typ im Bett in Fahrt kam, drückte ich ab. Ich verknipste einen halben Film, doch er schwebte dermaßen im siebten Himmel, daß er überhaupt nichts gemerkt hat. Ein paar Tage später habe ich sein Gesicht zufällig im Fernsehen gesehen. Erst da habe ich kapiert, wen ich da eigentlich geknipst hatte. Ich machte mir vor Angst in die Hose, doch Koustas hat mich wieder beruhigt.«
    »Was haben Sie mit dem Film gemacht?«
    »Den habe ich in meiner Dunkelkammer entwickelt und ihn dann Koustas übergeben, zusammen mit fünf Abzügen von jedem Bild. Ich habe kein einziges Foto zurückbehalten, das schwöre ich.«
    Das muß er mir gar nicht schwören, ich weiß, daß er es nicht gewagt hätte, Koustas zu hintergehen. Ich frage mich, ob er vielleicht auch die Fotografie von der Insel geschossen haben könnte, doch ich glaube eher nicht. Die hat bestimmt ein Amateur wie ich gemacht, der zuerst umständlich nach dem Auslöser fingert. Wozu spielte aber Kalia Koustas’ Spiel mit? Bezahlte er sie, oder hatte er auch sie in der Hand und setzte sie unter Druck?
    »Ist Kalia da?«
    Er blickt mich verdutzt an. »Ja, wissen Sie das denn nicht?« meint er. »Kalia lebt nicht mehr.«
    Die Nachricht trifft mich wie ein Keulenschlag. »Wann ist sie gestorben?« frage ich, nachdem ich ungefähr eine halbe Minute darum gerungen habe, meine Stimme wiederzufinden.
    »Man hat sie vor vier Tagen tot in ihrer Wohnung aufgefunden. Überdosis. Sie war zwei Tage lang nicht im Nachtklub aufgetaucht und hatte auch auf Anrufe nicht reagiert. Chortiatis vermutete, sie wäre abgehauen, doch Marina, die andere Bühnentänzerin, hat sich Sorgen gemacht, weil sie von den Drogen wußte. Als man die Tür aufbrach, fand man sie tot auf ihrem Bett.«
    »Wo kann ich Marina finden?«
    »Vielleicht ist sie schon da und macht sich für ihren Auftritt zurecht. Sonst weiß Chortiatis, wo sie wohnt.«
    In Kalias Garderobe brennt Licht, und auf ihrem Stuhl hat die rotblonde junge Frau Platz genommen, die ich am ersten Abend zusammen mit Kalia und dem heruntergekommenen Sänger mit den Koteletten auf der Tanzfläche gesehen hatte.
    »Sind Sie Marina?« frage ich sie.
    Sie blickt mich nicht durch den Spiegel an, wie es Kalia tat, sondern dreht sich auf dem Stuhl ganz herum.
    »Richtig«, antwortet sie mit einer Zuvorkommenheit, die nicht zu ihrem Äußeren paßt.
    »Erzählen Sie mir von Kalia.«
    Sie beißt sich auf die Unterlippe. »Was soll ich Ihnen da erzählen?«
    »Wie und wo haben Sie sie gefunden?«
    Sie berichtet mir haarklein dieselbe Geschichte, die ich bereits von dem Fotografen erfahren habe. Ihre Stimme zittert anfänglich, doch im Verlauf der Erzählung wird sie immer fester.
    »Wo genau befand sie sich, als Sie sie gefunden haben?«
    »Auf ihrem Bett. Sie war nackt, und ihr Körper war in ein Badetuch gehüllt. Anscheinend hatte sie geduscht, um sich zu entspannen und dann – ihre Dosis zu nehmen.«
    »Wie haben Sie auf diesen Anblick reagiert?«
    »Ich weiß nicht, daran kann ich mich nicht erinnern. Irgendwann sah ich dann zwei Polizeibeamte vor mir stehen. Der Schlosser sagte mir, ich hätte angefangen, hysterisch zu schreien, und er hätte den Polizeinotruf verständigt. Ich habe aber überhaupt keine Erinnerung daran.«
    »Wo hat Kalia gewohnt?«
    »In der Inois-Straße 7, in Nikea.«
    »Vielen Dank«, sage ich zu ihr und verlasse die Garderobe.
    Da Kalia in ihrer Wohnung verstorben ist, muß das Polizeirevier von Nikea die Formalitäten übernommen haben, also den Gerichtsmediziner zur Feststellung der Todesursache bestellt und die Leiche zur Bestattung freigegeben haben. Bei den zwei bis drei Fixern, die tagtäglich an einer Überdosis sterben, sind die Polizeireviere zu wahren Bestattungsinstituten mutiert. Ich spüre Kalias Fotografie in meiner Brusttasche, und Fragen über Fragen türmen sich vor mir auf. Wer sagt denn, daß sie nicht mit dem Exminister oder einem anderen Kunden zusammen war, bevor sie sich den Schuß setzte? Und wenn ja, hatte der Liebhaber dann Spuren hinterlassen oder sich in acht genommen?

46
    U m halb elf hat sich der Verkehr auf dem Athinon-Boulevard beruhigt, und ich folge einem Fernbus. Auf der hintersten Sitzbank tanzt der Kopf eines Fahrgastes auf und ab. Immer wieder versucht der Reisende, seinen Kopf aufzurichten, doch binnen kurzem sinkt er ihm wieder kraftlos auf die Brust. Auf der entgegengesetzten Fahrbahn hat ein Zug von Sattelschleppern den ganzen

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