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Nachtfalter

Nachtfalter

Titel: Nachtfalter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petros Markaris
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während sie auf dem Bett lag. Wie auch am Abend ihres Todes.
    »Wo standen die Gläser?«
    »Auf dem Nachttischchen. Die Flasche war auf dem Boden, neben dem Bett.«
    Über einen Stuhl neben der Tür sind ein T-Shirt, Jeans und eine Sportjacke geworfen. Unter dem Stuhl steht ein Paar Turnschuhe. Ich öffne den zweiteiligen Einbauschrank. Noch ein Paar Jeans, zwei Strumpfhosen und zwei Kleider – alles fein säuberlich auf Kleiderbügel gehängt. In der ersten Schublade liegt Unterwäsche, in der zweiten T-Shirts, in der dritten drei Pullover. Niemand hat die Schubfächer durchsucht, die Kleidung ist ordentlich gefaltet.
    Ich trete aus dem Schlafzimmer und gehe in die Küche. Kontokostas bleibt mir auf den Fersen, entweder weil er befürchtet, ich könnte etwas mitgehen lassen, oder weil er zum ersten Mal einen Kommissar der Mordkommission in Aktion sieht und sich weiterbilden möchte. Auch in der Küche gibt es nichts Auffälliges. In den Küchenschränken stehen Teller und Gläser in Reih und Glied, und die Spüle blitzt vor Sauberkeit. Ich habe jahrelang bei der Rauschgiftfahndung gearbeitet, doch einen so häuslichen Fixer sehe ich zum ersten Mal. Ich führe mir Kalia mit ihren ständigen zynischen Bemerkungen vor Augen und denke, daß sie erst sterben mußte, damit ich mich dafür interessierte, was sich dahinter verbarg.
    Dieselbe Ordnung herrscht auch in dem kleinen Wohnzimmer. Ich will gerade gehen, als mein Blick auf das Fernsehtischchen fällt. Neben dem Fernsehapparat steht ein etwa 25 x 20 cm großer Bilderrahmen auf dem Kopf. Ich hebe ihn in die Höhe, und die Rückseite löst sich vom Glas. Die Fotografie ist offensichtlich herausgenommen worden.
    »Was ist denn das hier?« frage ich Kontokostas und deute auf den Bilderrahmen.
    »Ein Bilderrahmen.«
    »Und es ist Ihnen gar nicht aufgefallen, daß er leer ist? Hat da bei Ihnen keine Alarmglocke geschrillt? Stellen Sie in Ihrer Wohnung leere Bilderrahmen auf, Kontokostas?«
    »Nein.«
    »Wo ist dann die Fotografie hingekommen?«
    Er zuckt verlegen mit den Schultern. »Keine Ahnung.«
    Ich setze schon zu der Erklärung an, daß derjenige, der seine Spuren vom Glas und der Whiskyflasche gewischt hat, auch das Foto aus seinem Rahmen gelöst hat, doch ich lasse es bleiben. Es hat keinen Sinn, ihm zu erläutern, daß Kalia an dem Abend, als sie sich den goldenen Schuß setzte, mit der Person von dem Foto zusammen war. Offensichtlich war es jemand, der ihr nahestand. Wenn dieser nicht der Täter war, dann bekam er jedenfalls mit, daß sie im Sterben lag, geriet in Panik, verwischte seine Spuren und verschwand. Ich könnte die Namen in ihrem Adreßbüchlein durchgehen. Wie um Himmels willen sollte ich aber so viele Alibis überprüfen? Die Fotografie sagte noch mehr aus: Wenn ein Freund oder Verwandter mit ihr zusammen war, dann hätte er die Fotografie ruhig steckenlassen können. Daß sie seine Fotografie im Wohnzimmer stehen hatte, heißt ja nicht unbedingt, daß er an dem Abend bei ihr war, als sie starb. Nein, die auf dem Foto abgebildete Person war entweder ein Prominenter oder hatte etwas mit unseren Nachforschungen zu tun. Die einzige hochstehende Persönlichkeit, die auch mit den Nachforschungen zu tun hat, ist der Exminister.
    »Das wär’s«, sage ich zu Kontokostas.
    Ich lasse ihn vor seinem Polizeirevier aussteigen und mache mich auf den Rückweg ins Athener Zentrum. Als ich nach Hause komme, ist es weit nach ein Uhr nachts. Ich öffne die Tür und finde eine wahre Festbeleuchtung vor. Adriani erwartet mich stehend im Flur.
    »Was ist denn das für eine Uhrzeit!« ruft sie außer sich.
    »Ich habe dir doch gesagt, ich hätte noch was zu erledigen.«
    »So wichtig ist dir diese Erledigung, daß du weder an mich noch an deine Gesundheit, noch an deine Tochter denkst, die in ein paar Tagen wegfährt? Deine Krankheit hat nichts mit deinem Herz, sondern mit deinem Beruf zu tun, und da kann dir selbst Fanis nicht helfen.«
    Ich schnappe nach Ousounidis’ Namen wie nach einem Rettungsring. »Was für ein Essen willst du meinem Arzt denn am Samstag vorsetzen?« frage ich, als könnte ich sie damit besänftigen.
    Sie blickt mich sprachlos an. Als ich ins Schlafzimmer komme, höre ich, wie sie hinter mir herruft: »Ist das alles, was du zu sagen hast?«
    Ich liege schon im Bett, als sie ins Schlafzimmer kommt. Nach so vielen Jahren Eheleben schämt sie sich immer noch, sich vor mir auszuziehen. Sie nimmt ihr Nachthemd mit ins Badezimmer und zieht es dort

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