Nachtfalter
öffne den zweiten Briefumschlag. Daraus fördere ich einen Negativfilm und eine Farbfotografie zutage. Ein Mann liegt vollkommen nackt und ausgestreckt auf einem Bett. Sein Gesicht, mit geschlossenen Augen und halboffenem Mund, ist der Linse zugewandt. Augenscheinlich stöhnt er vor Lust, denn auf ihm sitzt rittlings eine ebenfalls nackte junge Frau. Ihr Kopf ist in den Nacken geworfen, ihre Augen sind offen, ihr Gesicht versteinert und ausdruckslos. Die junge Frau ist Kalia. Und der unter ihr liegende Mann ist niemand anderer als der Exminister mit den hohen Umfragewerten.
Der Parlamentsabgeordnete hat offensichtlich das bessere Los gezogen als der Exminister. Er hat eine ganze Vierzimmerwohnung abgesahnt, während sich der Exminister mit Kalia begnügen mußte. Das Schicksal der Schnell- und Allesficker … Nun wird auch klar, wozu Koustas die R. I. Hellas brauchte. Er wollte die beiden Politiker als Pfand in der Hinterhand behalten. Wenn die Geldwäsche ans Licht gekommen wäre, hätte er sie veranlaßt, den Nachforschungen Einhalt zu gebieten. Und da seine Zwecke besondere Autorität verlangten, besserte er ihren Ruf durch geschönte Meinungsumfragen auf. So weit, so gut, aber es ging um noch viel mehr. Wenn die Regierung im Amt blieb, würde der Abgeordnete mit Koustas’ Apartment, auf der künstlichen Welle der Popularität reitend, auf einen Ministerposten gehievt. Wenn aber die Regierung abgewählt werden sollte, dann steuerte der Exminister mit den hohen Umfrageergebnissen auf den Sessel des Premierministers zu. Ich wäge kurz ab, was es für Koustas bedeutet hätte, einen unter Kalias Reitkünsten stöhnenden Premier in der Hand zu haben. Zumal seine Tochter die gefälschten Zahlen bearbeitete. Jetzt liegt auf der Hand, wer die Nachforschungen nach Koustas einstellen wollte – der Parlamentsabgeordnete und der Exminister.
Nun weiß ich auch, was Koustas am Abend des Mordes mit Kalia zu besprechen hatte. Offensichtlich schickte er die junge Frau zu verschiedenen seiner Freunde, und sie wehrte sich. Deswegen der heftige Tonfall. Kalia hatte mir während unseres zweiten Gesprächs sogar offenherzig davon berichtet. Sie sagte, das einzige, was Koustas von ihr verlangen könnte, sei, ihre Beine breit zu machen. Nur, daß sie das nicht für Koustas, sondern für verschiedene andere tun sollte, die er in der Hand hatte.
Warum aber hat der Erpresser die fünfzehn Millionen nicht entgegengenommen, sondern Koustas ins Jenseits befördert? Darauf weiß ich keine Antwort. Das eine Geheimnis klärt sich auf, und das nächste tritt ungelöst an seine Stelle. War vielleicht der Mörder nicht mit dem Erpresser identisch? Koustas erwartete den Erpresser, um ihm die Summe zu überreichen, doch der Mörder war schneller und machte ihn kalt. Das ist die einzige Erklärung, doch sie bringt mich dem Mörder um keinen Deut näher.
45
A ls ich nach Hause komme, nehme ich sofort ein Interal und lege mich hin. Denn das Herzrasen ist nach etlichen Tagen trügerischer Ruhe wieder da. Mein Herz tuckert wie der Benzinmotor eines gerade aus dem Hafen auslaufenden Kutters. Kein Wunder! Die ganze Geschichte mit den doppelten Geschäftsbüchern, den Schriftstücken und vor allem den von Koustas in seinem Lagerraum gehorteten Fotografien wird ja auch immer undurchsichtiger, obwohl sich doch eigentlich alles erhellt. Gehe ich dann einen Schritt weiter und halte Gikas die beiden Fotografien von der Insel unter die Nase, zusammen mit der Übertragungsurkunde des Apartments an den Parlamentsabgeordneten sowie der Abbildung des Exministers mit Kalia, wird er bestimmt noch vor mir von einem Herzinfarkt niedergestreckt. Im besten Fall wird er Koustas’ Geldwaschanlage untersuchen lassen, um ein Motiv für die Anstiftung zum Mord an Koustas nachweisen zu können. Aber die Beteiligung des Abgeordneten und des Exministers wird er vertuschen, worauf der Mord an Koustas ebenfalls unter den Tisch fallen wird. Denn die Möglichkeit ist nicht von der Hand zu weisen, daß einer von beiden oder auch beide zusammen beteiligt waren.
Gehe ich hingegen heimlich einen Schritt zurück und setze die Nachforschungen ohne Gikas’ Wissen fort, dann laufe ich Gefahr, wegen Belästigung oder gar Nötigung politischer Persönlichkeiten angeklagt zu werden, worauf meine Nachforschungen wiederum eingestellt werden.
Wie ich die ganze Geschichte auch drehe und wende – eine Lösung fällt mir nicht ein. Ich komme endlich zu dem Schluß, noch nichts zu
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