Nachtfalter
die hundert Notrufe bei der Feuerwehr erwähnt und die Straßen gezeigt, die sich in riesige Seenlandschaften verwandelt haben, die Tische und Stühle, die in den Wohnzimmern auf den Fluten treiben, und die Anwohner, die das Wasser eimerweise aus ihren Kellern kippen und die zuständigen, aber untätigen Behörden mit Häme übergießen.
»Die Leute haben ganz recht«, sagt Adriani aufgebracht. »Nicht einmal ein Kanalisationssystem können sie errichten. Nur auf Stimmenfang gehen.«
Ich entgegne nichts, denn mir steht der Sinn nicht nach einem gemütlichen Plausch. Der Politikteil der Sendung, der immer erst an fünfter oder sechster Stelle kommt, verbreitet keine wichtigen Neuigkeiten. Nur der Exminister mit den hohen Umfragewerten taucht auf und verkündet, daß er mit der Linie seiner Partei in den griechischtürkischen Beziehungen nicht einverstanden ist. Das hört sich so an, als wolle er vom Feldherrenhügel des französischen Spezialitätenrestaurants aus gleich die Bombardierung der Türken anordnen.
Wir sind schon bei der medizinischen Entdeckung des Tages angelangt, und über Koustas und die unbekannte Leiche wurde kein Sterbenswörtchen verloren. Ich stehe lautlos auf und gehe ins Schlafzimmer. Ich nehme den zweiten Band des Dimitrakos-Wörterbuchs zur Hand und lege mich aufs Bett. Ich blättere gerade nach irgendeinem Eintrag, um mich abzulenken, als ich unvermutet feststelle, daß mein linker Arm eingeschlafen ist und ich das Wörterbuch gar nicht mehr halten kann. Ich lege es zur Seite und bleibe reglos liegen, während mich ein stechender Schmerz durchzuckt.
»Was hast du denn? Warum hast du dich hingelegt?« Adriani steht in der Schlafzimmertür und blickt mich beunruhigt an.
»Mein Rücken tut wieder weh. Das kommt bestimmt davon, daß mich der Regen heute früh bis auf die Haut durchnäßt hat. Auch mein Arm ist ganz gefühllos –«
»Was?« ruft sie erschrocken. »Dein Arm ist gefühllos?«
Ich sehe, wie sie auf der Stelle kehrtmacht und sich eiligen Schrittes entfernt. »Wo gehst du denn hin?« rufe ich hinter ihr her.
»Bleib bloß liegen, nicht bewegen!«
Ich höre, wie sie telefoniert und eilig meinen Namen und unsere Adresse angibt. Sie kehrt zurück und läßt ihren Blick forschend über mich gleiten. Sie versucht, an meinem äußeren Eindruck abzulesen, wie ich mich fühle.
»Wo hast du angerufen?«
»Beim Rettungsdienst. In einer Viertelstunde sind sie hier.«
»Bist du wahnsinnig? Ich soll ins Krankenhaus wegen läppischer Rückenschmerzen? Ich habe doch schon einen Termin beim Rheumatologen ausgemacht!«
Sie bemüht sich, ihren Schrecken vor mir zu verbergen. »Mein lieber Kostas, möglicherweise ist es gar nicht der Rücken«, sagt sie. »Sondern das Herz.«
»Aber woher denn das Herz, dummes Frauenzimmer! Meine Pumpe ist in einem prima Zustand, nur mein Rücken tut mir weh. In den Krankenwagen setze ich keinen Fuß rein, damit du’s nur weißt.«
»Ich bitte dich, Kostas: Tu’s mir zuliebe! Bitte bitte!«
Sie fleht mich förmlich an, und auch mir ist der Schrecken in die Glieder gefahren, selbst wenn ich idiotischerweise den Helden spiele. »Einverstanden, aber ich will keinen Krankenwagen. Ich möchte mit dem Auto fahren.«
Als ich mich aufrichten möchte, beginnt mein Herz wie ein Motorboot zu tuckern, und ich ergebe mich in mein Schicksal. Adriani bemerkt es, ihre Unruhe wächst, und sie sieht davon ab, mich zu schimpfen. Nach einer Viertelstunde nähert sich die Sirene des Krankenwagens, und Adriani läuft zur Tür. Kurz darauf treten zwei Sanitäter mit einer Tragbahre herein. Sie lassen mich darauf plumpsen wie ein Bündel Schmutzwäsche, decken mich zu und beginnen mich eilig in Richtung Wohnungstür abzutransportieren.
»Wohin fahren Sie denn mit ihm?« fragt Adriani.
»Ins Allgemeine Staatliche Krankenhaus, dort hat die Ambulanz heute Nachtdienst. Kommen Sie mit?«
»Natürlich.«
Ein paar Passanten bleiben stehen und starren auf das sich bietende Schauspiel. Ich möchte am liebsten vor Scham im Erdboden versinken. Die glauben wohl, einen alten Mann vor sich zu haben, der seinen Lebensabend mit regelmäßigen Besuchen im Krankenhaus verbringt. Die Türen schließen sich, die Sirene tritt wieder in Aktion, und wir fahren los.
Wir brauchen ungefähr zehn Minuten bis zur Notaufnahme des Allgemeinen Staatlichen Krankenhauses. Die Sanitäter stellen mich in einem Gang ab.
»Warten Sie hier, der Arzt kommt gleich«, sagen sie zu Adriani und machen sich aus
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