Nachtfalter
ausdruckslos. »Warum?« Das ist das einzige Wort, das mir in den Sinn kommt.
»Er wird dem Fall noch einen Monat nachgehen, nichts finden, und dann landet das Ganze auf dem Stapel mit den unaufgeklärten Mordfällen.«
Plötzlich fällt mir das Gespräch mit Sotiropoulos ein, als er meinte, wenn ich im Fall Koustas nachbohrte, würde ich in Teufels Küche kommen. Da hat er wohl recht. In wesentlich unwichtigeren Fällen hält uns Gikas dazu an, bloß nicht lockerzulassen. Daß er den Fall nun so übereilt zu den unaufgeklärten Morden abschieben will, deutet darauf hin, daß ihn ein höherer Befehl dazu verdonnert hat. Ich spüre, wie sich schon wieder etwas in mir zusammenbraut.
»Hat Stellas Sie auf diesen Gedanken gebracht?«
»Was hat denn Stellas damit zu tun?«
»Weil er mir schon am ersten Tag gesagt hat, ich soll die Angelegenheit ins Archiv abschieben.«
»Meinen Sie, ich warte darauf, von Stellas zu hören, was ich tun und lassen soll?«
Er schreit mich an, einerseits, weil er glaubt, ich hätte ihn herabgesetzt, und andererseits, weil er das Thema vom Tisch haben möchte.
»Hier tummeln sich Typen aus aller Herren Ländern – Albaner, Serben, Rumänen, Bulgaren – und sind bereit, für ein Stück Brot einen Mord zu begehen. Wie soll man da auf einen grünen Zweig kommen! Ich leite den Fall zu den unaufgeklärten Morden weiter, und wenn wir Glück haben, fassen wir den Täter in einem Jahr wegen eines anderen Mordes, und dann klären wir den Koustas-Mord gleich mit auf.«
Er ist mit seiner Erklärung zu Ende und wartet ab, ob ich Einwände erhebe. Ich halte meinen Mund, und er beruhigt sich.
»Im Fall des unbekannten Toten sind wir übrigens weitergekommen.«
Er nimmt zwei zusammengeheftete Blätter von seinem Schreibtisch und überreicht sie mir. Das obere Blatt ist in deutscher Sprache. Am Briefkopf erkenne ich, daß es sich um ein offizielles Schriftstück handeln muß.
»Die Aussage des Deutschen. Sie ist heute morgen per Fax gekommen. Innerhalb eines Tages hat man ihn an der Universität ausfindig gemacht.«
Ich gehe zum zweiten Blatt über und sehe, daß es sich um eine Übersetzung ins Griechische handelt. »So schnell?« Ich frage das, um ihn auf die Schippe zu nehmen, weil ich weiß, was nun kommt.
»Alles geht schnell, wenn man über die geeigneten Beziehungen verfügt«, sagt er stolz, und meine Voraussage erfüllt sich prompt.
»Durch Ihren Bekannten in Deutschland?«
»Ja, Hartmann.«
Es steht in den Sternen, ob es tatsächlich Hartmann war oder mein Funkspruch, der die ergänzende Zeugenaussage in die Wege geleitet hat. Alle Schriftstücke gehen sowieso zuerst durch Gikas’ Hände.
»Wissen Sie, wir haben in den einschlägigen Kreisen nach Koustas ermittelt, aber alle haben Angst, und keiner traut sich, den Mund aufzumachen. Möglich, daß der Fall viel weitreichender ist als zunächst angenommen. Ich meine, wir sollten durchaus weiter nachforschen, bis abzusehen ist, wohin das Ganze führt.«
Er blickt mich an. Unversehens nimmt sein Gesicht jenen vertrauten Ausdruck an, den er jedes Mal aufsetzt, wenn er mir etwas ohne viele Worte verklickern möchte. »Kostas, ich weiß sehr wohl, worauf Sie hinauswollen. Geben Sie den Fall an Vlassopoulos ab. Setzen Sie mich nicht unter Druck.«
Einen Augenblick lang blicken wir uns an, ohne irgendein Wort. Dann öffne ich die Tür und gehe hinaus.
»Sag mal, wie ist denn eigentlich die Sache mit Hartmann gelaufen?« frage ich Koula.
»Wer ist denn das?«
»Der Deutsche, den Sie in München kontaktieren sollten.«
»Ach so, den haben wir nicht erreicht und sind der Sache nicht weiter nachgegangen.«
Wenn ich bei allen Nachforschungen die Wahrheit so schnell ans Licht brächte, wäre ich längst Polizeipräsident.
Im Fahrstuhl zerbreche ich mir den Kopf, um dahinterzukommen, wer wohl angeordnet hat, den Fall ad acta zu legen, und welche Gründe er dafür gehabt haben könnte. In was für schmutzige Geschäfte war Koustas verwickelt? Ausgeschlossen, daß es um Rauschgifthandel ging. Drogengeschäfte lassen sich schwer vertuschen. Die kommen zuallererst ans Licht, und dann bemühen sich die Schuldigen, einen Weg zu finden, ihre Freiheit mit Geld zu erkaufen. Die einzige Möglichkeit, die mir in den Sinn kommt, ist Wucher. Wenn verschiedene große Unternehmer verwickelt waren, dann ließen sie rechtzeitig ihre Beziehungen spielen, um die Affäre zu vertuschen, bevor ihr Name dick und fett auf dem Fernsehschirm und in den
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