Nachtfalter
etwas wie eine Magenverstimmung.«
Die Besorgnis zeichnet sich nun klar in seinem Blick ab. Er sieht eine Krankenschwester vorbeieilen, die in einem Plastikbecher eine Urinprobe zur Untersuchung bringt, und hält sie an.
»Schwester, helfen Sie mir mal, die Tragbahre in den Untersuchungsraum zu schieben.«
Sie verständigen sich mit einem kurzen Blick. »Halten Sie das bitte einen Augenblick«, sagt die Krankenschwester zu einer Frau und drückt ihr die Urinprobe in die Hand.
»Na, das wird ja immer schöner!« ruft die Frau erbost aus. »Nicht genug damit, daß wir drei Stunden lang warten, bis uns endlich ein Arzt untersucht, jetzt halst man uns auch noch fremde Urinproben auf.«
Die Krankenschwester läßt sie einfach stehen. Sie schiebt die Tragbahre mit dem Arzt zusammen in das Untersuchungszimmer.
Eine schwarzgekleidete Mollige hält das Hemd eines Siebzigjährigen, der auf dem Bett sitzt, in der Hand und will es ihm gerade überziehen.
»Ich bitte Sie, könnten Sie so freundlich sein und sich draußen ankleiden?« meint der Arzt.
»Aber wir sind doch noch gar nicht fertig«, protestiert die Frau. »Sie haben uns kein Sterbenswörtchen darüber gesagt, ob noch weitere Untersuchungen oder irgendwelche Medikamente nötig sind.«
»Ich rufe Sie in fünf Minuten wieder herein. Ich habe hier einen Notfall.«
»Komm schon, Papa«, sagt sie zu dem Siebzigjährigen und hilft ihm beim Aufstehen, während sie gleichzeitig seine Kleider vom Stuhl nimmt. Als sie an mir vorbeigeht, kann sie sich einen Seitenhieb nicht verkneifen. »Ich möchte bloß wissen, welchen hohen Fürsprecher der Herr hier hat«, meint sie zum Arzt gewendet. Ihr Blick und ihre Worte speien Gift und Galle. Na warte, denke ich insgeheim, sollte ich dich jemals wiedersehen, wirst du händeringend nach hohen Fürsprechern rufen, damit sie dich aus meinen Klauen befreien.
Doch nur ich scheine ihr Beachtung zu schenken, sonst niemand. »Bei welcher Krankenkasse sind Sie versichert?« fragt mich die Krankenschwester.
»Bei der Polizeikrankenkasse«, mischt sich Adriani ein. »Er ist nämlich Kommissar.«
Die Frau bekommt es an der Tür mit. »Aha, jetzt ist alles klar«, triumphiert sie. »Die kassieren bei den Drogendealern ab und bringen so ihre Schäfchen ins trockene.«
Ich weiß nicht, was mir mehr weh tut: mein Rücken oder die Erniedrigung, die ich einstecken muß. Ich warte darauf, daß jemand für mich in die Bresche springt, doch wieder mißt ihr keiner Bedeutung bei, nicht einmal Adriani, die mir beim Ausziehen behilflich ist. Daraus schließe ich, daß sie wirklich Angst hat.
Aus den Augenwinkeln verfolge ich die Krankenschwester, die mich verkabelt, als sei ich ein Stromgenerator. Ich weiß nicht, ob die Nadeln, die ihre Aufzeichnungen beginnen, mit meiner Herztätigkeit zugleich auch meine Furcht registrieren.
»Sie leiden an einer akuten Durchblutungsschwäche. Ich behalte Sie zur Beobachtung vorläufig hier«, sagt der Arzt.
Das hatte ich von Anfang an befürchtet, und der kalte Schweiß bricht mir aus. Hätte er gesagt, er wolle mich zum Verhör hierbehalten, hätte ich es mit Leichtigkeit hingenommen. Denn das Gefängnis ist ein Dschungel, in dem ich mich zurechtfinde.
Man fährt mich in ein Zweibettzimmer, und zu meiner großen Freude ist das andere Bett nicht belegt. Jetzt erst sehe ich, daß Adriani eine große Plastiktüte in der Hand hält. Sie öffnet sie und holt meinen Pyjama und meine Pantoffeln hervor.
»Ich habe das schnell eingepackt, als wir auf den Krankenwagen warteten«, sagt sie, als müsse sie dafür Abbitte leisten. »Ich dachte, vielleicht behalten sie dich gleich hier.«
Sie geht mir beim Auskleiden zur Hand, dann setzt sie sich auf das gegenüberstehende Bett und blickt mich an. Ich habe das Gefühl, daß ich ihr etwas sagen sollte, ein Dankeschön oder daß es mir schon bessergeht und sie sich keine Sorgen machen soll. Doch kein Wort kommt über meine Lippen. Adriani lächelt mir schüchtern zu, ganz wie bei unserer allerersten Verabredung. Sieh einer an, sage ich zu mir, wie diese Krankheit die Anfänge unserer Liebesbeziehung heraufbeschwört. Sie streckt ihre Hand aus und legt sie auf die meine. Jetzt, wo die Dinge ihren geregelten Gang gehen, würde sie gerne ein paar Tränen weinen, um sich Erleichterung zu verschaffen, doch sie beherrscht sich. Ihre Hand gibt mir Sicherheit, der Schmerz läßt langsam nach, und der Schlaf übermannt mich.
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A ls ich die Augen aufschlage, ist mir
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