Nachtfalter
Zentrums ausgebreitet. Man erreicht sein Fahrtziel nur, wenn man sich durch den Abfalldschungel schlängelt: Milchtüten, Coca-Cola-Flaschen, Bierdosen und leere Joghurtbecher. Gleichzeitig wird im Radio verkündet, die Mitarbeiter der Müllabfuhr hätten ihren Streik beendet. Daß ich nicht lache! Die warten jetzt so lange ab, bis die Sonne den Unrat ausdörrt, um ihn dann bequem einzusammeln.
Ich brauche an die drei Stunden, um zum Alexandras-Boulevard zu gelangen. Meine Kleider sind wieder trocken. Vlassopoulos sieht, wie ich antuckere, und schon läuft er mir entgegen.
»Der Chef will Sie sprechen.«
»Schon gut. Komm mit mir.« Ich spare mir Gikas für später auf – wenn sich meine Nerven etwas beruhigt haben. »Hast du etwas über Koustas in Erfahrung gebracht?«
»Wenn Sie mich so fragen: nein.«
»Also, Vlassopoulos, was soll das wieder heißen? Wie soll ich dich denn sonst fragen? Fehlt nur noch, daß du sagst ›Kein Kommentar‹, wie es jetzt bei allen mundfaulen Idioten in Mode gekommen ist!« Es kommt mir sehr gelegen, daß ich mich an ihm abreagieren kann, bevor ich zu Gikas gehe.
»Ich wollte damit nur sagen, niemand weiß etwas über: Koustas.«
»Die wissen sehr wohl etwas, nur halten sie dicht.«
»Nein, Herr Kommissar.« Er hält inne und sieht mich gedankenvoll an. »Die Sache mit Koustas ist nicht ganz sauber. Nicht, was den Mord betrifft, sondern, was seine Person angeht.«
»Was meinst du damit?«
»Ich weiß nicht, es ist nichts Handfestes. Wenn man mit den Leuten über den Mord spricht, reden sie frei heraus, doch sobald man danach fragt, was für ein Mensch Koustas war, fühlen sie sich in die Enge getrieben und rücken keine Informationen mehr raus.«
»Na, schwing dich mal nicht zum Psychoanalytiker auf, Vlassopoulos! Unsere Arbeit ist derbes Handwerk, da ist kein Platz für abgehobene Ideen. Such weiter, tritt ihnen auf die Füße!«
»Ich knie mich rein.« Ich begreife, daß ich ihn nicht überzeugt habe, denn er setzt nach: »Ich tue ohnehin, was ich kann.«
»Na, dann ist es ja gut. Schick mir Dermitzakis rüber.«
Ich bin ihm zwar über den Mund gefahren, doch was er sagt, gibt mir zu denken. Wenn er recht hat, dann haben sich die Leute untereinander abgesprochen und schweigen, nicht weil sie vor dem toten Koustas Angst hätten, sondern weil sie sich vor seinen noch lebenden Geschäftspartnern fürchten. Die zweite Tatvariante scheint sich mehr und mehr zu bewahrheiten: Koustas trat am Abend des Mordes allein aus dem Rembetiko, weil er auf einen seiner Geschäftspartner wartete. Die Antiterrorabteilung hatte doch recht, sowenig mir das auch in den Kram paßt. Möglicherweise war sein Mörder ein blutiger Anfänger oder bloß schusselig, aber es war ein Auftragsmord.
»Ich möchte, daß du Koustas’ sämtliche Telefonrechnungen durchforstest«, sage ich zu Dermitzakis, als er reinkommt. »Die vom Restaurant, von den beiden Nachtklubs, von ihm zu Hause und von seinem Handy. Ich möchte wissen, mit wem er telefoniert hat.«
»Wie weit soll ich zurückgehen?«
»Sagen wir, vierzehn Tage, da müßte der Mörder dabeisein. Fang mit seinem Mobiltelefon an. Höchstwahrscheinlich hat er ihn damit angerufen.«
Ich lasse ihn mit seiner Aufgabe allein und begebe mich zu Gikas. Koula empfängt mich mit einem breiten Lächeln.
»Und wann ist es soweit mit der Hochzeit?« frage ich.
»Wissen Sie, Sakis möchte, daß wir sofort heiraten, aber ich will nichts überstürzen.«
»Weshalb?«
»Er soll ruhig ein wenig schmoren. Wenn man es als Frau den Männern zu leicht macht, denken sie gleich, sie seien die Größten.« Und ihre Miene sagt mir, daß ich Glück hatte, daß ich nicht ihr in die Hände gefallen, sondern bei Adriani gelandet bin.
»Ist er drinnen?« frage ich, um schnell die Kurve zu kratzen.
»Ja, und er will Sie schon seit dem frühen Morgen sprechen.«
Das scheint zu stimmen, denn kaum habe ich meinen Fuß in sein Büro gesetzt, springt er mir auch schon ins Gesicht: »Wo sind Sie denn abgeblieben? Informationsmäßig sitze ich völlig auf dem trockenen.«
»Wir haben noch nichts zu bieten.«
Und ich erläutere meine Nachforschungen, und wo ich heute morgen war.
Er blickt mich eine Weile skeptisch an. »Ich sähe es lieber, wenn Sie sich mit dem Fall des unbekannten Toten befaßten«, meint er dann. »Geben Sie den Koustas-Mord an Vlassopoulos ab.«
Mir verschlägt es die Sprache. Ich versuche zu erraten, woher der Wind weht, doch sein Gesicht bleibt
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