Nachtflamme: Roman (German Edition)
auch ein Bauarbeiter oder Gärtner. Etwas über sechzig und ziemlich mutlos.
»Worum geht es bei ihm, Alice? Dürfen Sie mir das sagen?«
»Eigentumsstreitigkeiten«, erwiderte Alice. »Tim Edwards hat eine Farm südlich von der Stadt. Eine Baugesellschaft hat ein Grundstück gekauft, das an sein Land grenzt. Sie haben sich drei Hektar von seinem Land unter den Nagel gerissen, und jetzt will Tim es wiederhaben. Die Baugesellschaft will es aber nicht rausrücken. Ich muss rasch zur Post.«
»Das kann ich doch auch machen.«
Alice hob den Finger. »Dann würden mir aber sowohl der Spaziergang als auch der Klatsch entgehen. Ich habe hier Notizen zu einem Vorgang, den Fox gerade bearbeitet. Wollen Sie mir die Unterlagen dazu rasch zusammenstellen?«
Als sie gegangen war, setzte Layla sich und machte sich an die Arbeit, wobei sie sich wunderte, warum die Leute so einfache Sachverhalte in einer so komplizierten Sprache darstellen mussten. Tapfer kämpfte sie sich durch, nahm Anrufe entgegen, machte Termine. Als Alice zurückkam, überschüttete sie sie mit Fragen, hatte aber zwischendurch noch genug Zeit, um festzustellen, dass Edwards sehr viel weniger mutlos aussah, als er ging.
Um eins war sie schließlich wieder allein und druckte die Unterlagen aus, die sie abgeschrieben hatte. Bei Seite zwei signalisierte der Drucker, dass die Tintenpatrone leer sei. Sie trat an den Vorratsschrank gegenüber der hübschen kleinen Bibliothek. Die Schachtel mit den Patronen lag ganz oben.
Warum mussten solche Dinge immer auf dem obersten Regalbrett liegen, fragte sie sich. Warum gab es überhaupt oberste Regalbretter, wenn doch noch lange nicht jeder ein Meter achtzig groß war? Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und reckte sich, so weit sie konnte, wobei sie sich mit der Hand an einem der niedrigeren Regale abstützte. So kam sie mit den Fingerspitzen gerade an den Rand des Kartons.
»Ich gehe jetzt Mittagessen«, sagte Fox hinter ihr. »Wenn du auch etwas willst – warte, ich helfe dir.«
»Jetzt habe ich das verdammte Ding ja fast.«
»Ja, klar, gleich fällt es dir auf den Kopf.«
Er beugte sich vor und griff nach oben, gerade als Layla sich umdrehte.
Ihre Körper berührten sich, sie hob das Gesicht, und ihr Duft hüllte ihn ein wie Satinbänder. Benommen blickte er in ihre Sirenenaugen. Er dachte: Tritt lieber einen Schritt zurück, O’Dell. Aber dann beging er den Fehler, auf ihren Mund zu blicken. Und es war um ihn geschehen.
Er beugte sich zu ihr herunter, und sie öffnete leicht die Lippen. Und dann küssten sie sich.
Der Kuss wurde tiefer, und Hitze erfüllte ihn. Am liebsten wäre er mit ihr versunken.
Sie gab einen kleinen Laut von sich, und plötzlich fiel ihm ein, wo sie sich befanden. Sie arbeitete für ihn, um Gottes willen. Verlegen löste er sich von ihr.
»Entschuldigung. Es tut mir leid. Ich hätte das nicht tun dürfen. Das schickt sich nicht. Es war … Es war …«
»Fox?«
Er zuckte zusammen, als die Stimme hinter ihm ertönte. Sein Magen rutschte ihm bis auf die Knie. »Mom.«
»Es tut mir leid, wenn ich euch unterbreche.« Sie lächelte Fox fröhlich an, dann wandte sie sich zu Layla. »Hi, ich bin Joanne Barry, Fox’ Mutter.«
Warum gab es eigentlich nie ein Loch im Boden, in das man versinken konnte, wenn man es brauchte, dachte Layla. »Nett, Sie kennen zu lernen, Ms Barry. Ich bin Layla Darnell.«
»Ich habe dir ja erzählt, dass Layla mir im Büro hilft. Wir wollten gerade …«
»Ja, das hast du mir erzählt.«
Lächelnd beließ sie es dabei.
Sie war der Typ Frau, den man fasziniert anstarrte, dachte Layla. Sie hatte dicke braune Haare, die in Wellen um ihr gut geschnittenes Gesicht mit dem breiten, ungeschminkten Mund und den auffallenden, braunen Augen, aus denen sie sie amüsiert, neugierig und geduldig zugleich anblickte, lagen. Joanne war groß und schlank, und die schmale Jeans, Stiefel und der enge Pullover standen ihr perfekt.
Layla räusperte sich, zumal es Fox die Sprache verschlagen zu haben schien. »Ich, äh, brauchte eine neue Patrone für den Drucker. Sie stehen im obersten Regal.«
»Ja, genau. Genau, ich wollte sie gerade herunterholen.« Fox drehte sich um, wobei er erneut mit Layla zusammenstieß. »Entschuldigung.« Er hatte den Karton kaum heruntergeholt, als Layla ihn auch schon an sich riss und fluchtartig das Weite suchte.
»Hast du eine Minute Zeit für mich?«, fragte Jo süß. »Oder habe ich dich gerade bei der Arbeit
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