Nachtflamme: Roman (German Edition)
bitten, unsere Auseinandersetzung erst einmal beiseitezulegen. Wir können später immer noch darüber sprechen.«
»Das ist immer das Problem, oder? Persönliche Gefühle, Reaktionen, Beziehungen. Immer sind sie im Weg, verkomplizieren alles.«
»Vielleicht. Aber dagegen kann man kaum was machen, weil wir alle Menschen sind.«
»Was wäre passiert, wenn Gage dich nicht aufgehalten hätte, wenn du tatsächlich ins Haus gerannt wärst?«
»Ich weiß nicht.«
»Doch. Du kannst zumindest spekulieren. Ich vermute, dass das Feuer für dich in diesem Moment real war. Du hast die Hitze und den Rauch gespürt. Wenn du ins Haus gelaufen wärst, dann hättest du sterben können, ganz gleich, wie schnell alle Wunden bei dir heilen.«
»Ich habe mich von diesem Hurensohn täuschen lassen. Mein Fehler.«
»Darum geht es nicht. Er hätte dich töten können. Daran habe ich vorher noch nie gedacht. Er kann deinen Geist gegen dich wenden und dich dadurch umbringen.«
»Dann müssen wir also in Zukunft klüger reagieren.« Er zuckte mit den Schultern, aber sie merkte ihm an, dass er keineswegs so gelassen war, wie er tat. »Er konnte mich deshalb überrumpeln, weil auf der Farm oder bei Cals Eltern noch nie etwas passiert ist. Sie waren immer außen vor. Sicherheitszonen sozusagen. Deshalb habe ich auch nicht nachgedacht, sondern nur reagiert. Das ist niemals klug.«
»Wenn es real gewesen wäre, wärst du hineingegangen. Du hättest dein Leben riskiert, um drei Hunde zu retten. Ich weiß nicht, was ich von dir halten soll«, fuhr sie fort. »Ich weiß nicht, was ich fühlen soll. Deshalb lege ich auch das erst einmal beiseite. Wir können ja später noch einmal darüber reden.«
»Entschuldigung.« Quinn stand in der Tür. »Wir sind hier drinnen fertig.«
»Ich komme.« Layla ging ins Esszimmer, und ein paar Sekunden später folgte ihr Fox.
»Wir sollten sofort anfangen.« Quinn setzte sich neben Cal an den Tisch. Cybil hatte einen Notizblock vor sich liegen, um alle Gedanken und Eindrücke aufzuschreiben. »Also, wer möchte anfangen?«
Sechs Personen studierten das eingepackte Päckchen auf dem Tisch. Alle schwiegen.
»Ach, Mann, das ist doch albern.« Quinn ergriff vorsichtig die Tagebücher und wickelte sie aus. »Selbst wenn man davon ausgeht, dass sie unter irgendeinem magischen Schutz stehen, sind sie unglaublich gut erhalten.«
»Unter den Umständen können wir annehmen, dass sie über gewisse magische Kräfte verfügt hat«, sagte Cybil. »Lies irgendeinen Eintrag laut vor.«
»Okay.« Es waren drei Bücher, also nahm sie eines und schlug es beim ersten Eintrag auf. Die Tinte war verblasst, aber lesbar, die Handschrift, die ihr mittlerweile schon vertraut war, sorgfältig und klar.
»›Ich glaube, jemand muss berichten, was war, was ist und was sein wird. Ich bin Ann. Mein Vater, Jonathan Hawkins, brachte meine Mutter, meine Schwester, meinen Bruder und mich zu diesem Ort, den wir Hollow nennen. Es ist eine neue Welt, und er hoffte, dass wir hier glücklich werden. Bis jetzt waren wir das auch. Es ist ein grünes Land, wild und ruhig. Mein Vater und mein Onkel haben für Hütten und für Felder Land gerodet. Das Wasser ist im Frühling kalt und klar. Immer mehr Siedler kamen, und aus Hollow wurde Hawkins Hollow. Mein Vater hat ein kleines, hübsches Steinhaus gebaut, wir haben uns dort wohlgefühlt.
Es gibt viel Arbeit, um Geist und Hände zu beschäftigen, und das muss auch so sein. Die Siedler hier haben eine steinerne Kapelle gebaut. Ich habe die Gottesdienste besucht, wie es von mir erwartet wird, aber ich habe Gott dort nicht gefunden. Ich habe ihn im Wald gefunden. Dort empfinde ich tiefen Frieden. Dort bin ich auch Giles das erste Mal begegnet.
Man sagt, die Liebe kommt nicht in einem Augenblick, sondern braucht ein ganzes Leben lang. Aber warum habe ich dann in jenem Moment solche Liebe empfunden? Vor meinem geistigen Auge habe ich gesehen, wie ich Leben um Leben mit diesem Mann verbracht habe, der in einer Steinhütte im Wald am Altarstein wohnt.
Er hat auf mich gewartet. Das wusste ich ebenfalls. Er wartete darauf, dass ich zu ihm kam, ihn sah, ihn erkannte. Als wir uns begegneten, sprachen wir von einfachen Dingen, wie es schicklich ist. Wir sprachen von der Sonne und den wilden Beeren, die ich pflückte, von meinem Vater, von dem Fell, das Giles gerbte.
Wir sprachen nicht von Göttern und Dämonen, von Magie und Schicksal. Damals nicht. Das kam erst später.
Bei jeder Gelegenheit ging
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