Nachtflamme: Roman (German Edition)
und er hatte reichlich Zeit zum Nachdenken gehabt.
Sie waren gerade dabei, das zweite Tagebuch zu lesen. Es gab zwar bis jetzt keine verblüffenden Enthüllungen, aber Fox machte sich trotzdem selbst Notizen. Manchmal überhörte man beim Lesen etwas, und es fiel einem erst später, wenn man darüber nachdachte, auf.
Er hatte gemerkt, dass Ann Hawkins zwar viel von der Freundlichkeit ihrer Kusine, den Bewegungen der Kinder in ihrem Bauch, ja sogar übers Wetter und die täglichen Pflichten schrieb, aber Giles oder die Nacht am Heidenstein nie erwähnte.
Deshalb machte sich Fox Gedanken über das, was sie nicht geschrieben hatte.
Er hatte die Füße auf Cals Couchtisch gelegt, eine Cola in der Hand und Chips in Reichweite. Im Fernsehen lief ein Basketballspiel, aber er konnte sich nicht darauf konzentrieren. Morgen war ein anstrengender Tag, dachte er. Zuerst der Besuch bei Sages Ärztin. Na ja, zumindest wusste er, was er dort tun musste.
Danach war er bei Gericht, auch darauf war er vorbereitet. Anschließend wollten sie sich alle treffen, um zu lesen und zu diskutieren.
Und sie würden weiter warten.
Er sollte nach Hause gehen und sich alle Unterlagen noch einmal genau anschauen. Irgendwo da drin steckte ein Puzzleteilchen, das er übersehen hatte. Er musste es nur herausschütteln und anschauen.
Aber er blieb sitzen, trank noch einen Schluck Cola, und ehe er sich’s versah, sprudelte er hervor:
»Ich gehe morgen mit Sage und Paula zum Arzt, um Sperma zu spenden, damit sie ein Kind bekommen können.«
Die beiden anderen schwiegen verblüfft. Schließlich sagte Cal: »Hä?«
»Sage hat mich darum gebeten, und ich habe mir gedacht, warum nicht? Sage und Paula sind glücklich miteinander. Es ist nur ein komisches Gefühl, dass ich versuche, jemanden aus der Ferne zu schwängern.«
»Du gibst deiner Schwester was aus der Familie«, warf Cal ein. »So komisch ist das gar nicht.«
Bei seiner Bemerkung ging es Fox gleich besser. »Ich übernachte heute hier. Wenn ich nach Hause gehe, dann komme ich ja doch bloß in Versuchung, bei Layla vorbeizuschauen. Und wenn ich sie schon einmal sehe, will ich auch mit ihr schlafen.«
»Und du möchtest dich lieber vor morgen nicht verausgaben«, ergänzte Gage.
»Ja. Das mag blöd klingen, aber es ist so.«
»Du kannst auf der Couch schlafen«, erklärte Cal. »Zumal ich jetzt weiß, dass du dir heute Nacht bestimmt keinen runterholst.«
Ja, dachte Fox, manchmal musste ein Mann entschieden mit seinen Freunden zusammen sein.
Der Schneesturm Ende März war ärgerlich. Er hätte besser den Wetterbericht gehört, bevor er am Morgen aus dem Haus gegangen war. Dann hätte er seine Winterjacke angezogen. Eine dünne weiße Schneedecke lag über den gelben Blüten der Forsythien. Na ja, das würde ihnen nichts schaden, dachte Fox, als er nach Hollow zurückfuhr. Diese ersten Frühjahrsblüher vertrugen einiges und waren an die Launen der Natur gewöhnt.
Er war den Winter leid. Obwohl mit dem Sommer die Sieben näherrückten, wünschte er sich, dass der Winter endlich vorbei wäre. Vor diesem grässlichen Sturm hatte es sogar schon ein paar schöne Tage gegeben, die die Natur einem wie einen lockenden Köder vor die Nase hängte.
Aber der Schnee würde schmelzen, rief er sich ins Gedächtnis. Er sollte besser daran denken, dass heute alles gut gelaufen war. Er hatte seine Pflicht seiner Schwester gegenüber und auch vor Gericht getan, jetzt würde er nach Hause fahren, sich den Anzug vom Leib reißen und ein schönes kaltes Bier trinken. Und nach der Sitzung heute Abend würde er mit Layla ins Bett gehen.
Als Fox auf die Main abbog, sah er Jim Hawkins, der mit den Händen in den Hüften vor dem Geschenkladen stand und das Gebäude musterte. Fox fuhr an den Straßenrand, ließ das Fenster herunter und rief: »Hey!«
Jim drehte sich um. Er war ein großer Mann mit nachdenklichen Augen und einer ruhigen Hand. Er kam zum Truck und beugte sich in das offene Fenster. »Wie geht’s dir, Fox?«
»Gut. Kalt ist es heute. Soll ich dich mitnehmen?«
»Nein, ich mache gerade einen kleinen Spaziergang.« Er warf einen Blick auf den Laden. »Es ist schade, dass Lorrie und John den Laden aufgeben und die Stadt verlassen.« Düster blickte er Fox an. »Mir tut es um jeden leid, den die Stadt verliert.«
»Ja. Es hat sie aber auch schlimm erwischt.«
»Ich habe von der Sache mit Block gehört. Das muss ja auch ganz schön schlimm gewesen sein.«
»Es geht mir wieder
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