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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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versuchte, alles zu tun, um seinem Vater zu gefallen. Doch er war wirklich neugierig darauf, den Himmel richtig sehen zu können – und die Vögel, die ihn bewohnten. Nun waren sie auf gleicher Höhe mit dem Oberen Holm, und Dämmer schluckte nervös, als sie weiterstiegen.
    Je näher sie dem Wipfel des Mammutbaums kamen, desto kürzer wurden seine Äste. Die Lichtung wurde offener, Vögel durchzogen den Himmel und die Sonne neigte sich langsam zum westlichen Horizont. Bald waren sie so hoch oben, wie der Mammutbaum aufragte.
    Mit begehrlichen Blicken folgte Dämmer den Flugbahnen der Vögel und bewunderte, wie ihre Flügelschläge sie mühelos in die Höhe trugen. Ein großer Schwarm schwenkte plötzlich wie auf Kommando um und geriet außer Sichtweite. An ihrer Stelle tauchte ein seltsamer Schatten am Himmel auf, zeichnete sich vor dem blendenden Licht der Sonne als verschwommene Kontur ab.
    »Was ist das?«, frage Dämmer Sylph, worauf sie zum Himmel blickte.
    Ihm kam es wie ein entwurzelter Baum vor, der liegend mit flatternden Ästen dahintrieb. Als das Objekt sich nicht mehr direkt vor der blendenden Sonne befand, war es deutlicher zu sehen, und Dämmer erkannte zu seinem Schrecken, dass es direkt auf sie zukam.
    Etwas so Riesiges hatte er noch nie in der Luft gesehen.
    Ein langer Kopf mit einem Kamm.
    Ausgefranste Flügel von bestimmt fünfzehn Metern Spannweite.
    »Das ist eine Art Vogel!«, sagte Sylph mit angsterstickter Stimme.
    Dämmer sah, wie sich die mächtigen Flügel bei jedem seltsam lustlos wirkenden Schlag stark durchbogen.
    »Aber er hat keine Federn«, murmelte er.
    Die Thermik, die ihnen einen solch herrlichen Auftrieb gegeben hatte, schob sie nun unerbittlich auf dieses Wesen zu. Dämmer winkelte die Segel an und zog davon. Er rief Sylph zu, dasselbe zu machen. Befreit von der Thermik stiegen sie nun hastig ab, wobei sich Dämmer immer wieder umsah.
    Das Wesen wendete torkelnd in der Luft und steuerte eindeutig auf die Lichtung zu. Kein Wunder, dass die Vögel so hektisch abgezogen waren. Ob es ihn und Sylph bemerkt hatte? Dämmer winkelte seine Segel noch schärfer an, um seinen Fall zu beschleunigen. Sylph war ihm voraus, vorbei am Revier der Vögel, vorbei am Oberen Holm.
    Er hörte das Wesen mit dem Geräusch einer plötzlichen Sturmbö kommen. Wind stieß ihm gegen Schwanz und Rücken. Im Umdrehen sah er den langen Kopf, der in einen knöchrigen Kamm überging. Er sah einen langen Schnabel – oder Kiefer, da war er sich nicht ganz sicher. Der eine Flügel hing halb am Körper herab, der andere blähte sich mit einem knallenden Geräusch und seine Spitze knickte Zweige ab, als die Kreatur nun zu einem wagemutig steilen Sturzflug auf die Lichtung ansetzte. Dämmer musste die Kolonie warnen.
    »Passt auf!«, brüllte er, denn es jagten immer noch Hunderte von Chiroptern zwischen den Bäumen. »Macht Platz!«
    Sie mussten ihn gehört haben, denn er sah, wie die Chiropter auf die Sicherheit der Mammutbaumäste zustoben.
    Doch er selbst wusste nicht, wohin er fliegen sollte, um zu entkommen. Die Kreatur war riesig und ihre Flügel überspannten fast die ganze Lichtung.
    »Landen!«, schrie er Sylph zu, die sich weit unter ihm befand.
    »Wo?«
    »Irgendwo!«
    Sylph schwenkte nach links, landete hart auf einem Ast des Mammutbaums und kroch auf den Schutz bietenden Stamm zu.
    Dämmer jagte weiter, hatte Angst, abzuschwenken, weil das Wesen nun so dicht hinter ihm war. Er raste durch das verlassene Jagdrevier, und sah, wie schnell der Boden auf ihn zukam. Das Wesen müsste jetzt doch hochziehen!
    Er warf einen Blick zurück und in dem Moment überholte ihn das Wesen. Seine heißen, heftigen Turbulenzen rissen Dämmer mit, sodass er sich überschlug. Der Wald wirbelte um ihn herum. Er hörte, wie die Flügel der Kreatur gegen Äste schlugen, wie Holz brach.
    Dann gelang es ihm, seine Segel zu entwirren und sich auszurichten, aber er konnte sich nicht aus dem Luftsog der Kreatur reißen. Baumstämme ragten auf. Er erwartete, die Kreatur würde nun hochziehen und abdrehen, doch stattdessen stürzte sie direkt hinein in die Mammutbäume. Dämmer schaufelte mit den Segeln und bremste verzweifelt ab. Er prallte gegen den ledrigen Schwanz der Kreatur, wirbelte benommen herum und schoss durch die Zweige nach unten, schlug gegen Rinde, in die er all seine Krallen schlug, und zitterte dabei so stark, dass er sich kaum halten konnte.
    Alles war still. Kein Vogel sang, kein Insekt zirpte. Der Wald hielt den

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