Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
Vom Netzwerk:
Tümpeln in der Rinde des Mammutbaums sah. Er starrte hinein wie versteinert. Dann wurde das Auge unheimlich durchscheinend, Licht bewegte sich darin, und Dämmer sah, wie sich sein Spiegelbild auflöste. Der Kopf der Kreatur kippte auf ihn zu.
    Dämmer war wie erstarrt. Die riesigen Kiefer teilten sich und ein heftiger Windstoß stinkender Luft strömte über ihn hinweg. Doch mit diesem Ausatmen war etwas vermischt, etwas, das Dämmer wie Sprache vorkam, eine Sprache, die er nie gehört hatte. Ein weiterer säuerlicher Atemstoß entwich der Kehle der Kreatur, und ihr Kopf schlug auf dem Ast auf, als der letzte Lebensfunke in ihrem Auge verlosch.
     

Kapitel 3
Reißzahn
    I n der flachen Senke lagen zwei Eier, lang und schmal, in eine dicke Schicht aus Früchten, Schlamm und Blättern gebettet. Von den verfaulenden Pflanzen stieg ein kräftiger Gestank auf und entwickelte eine überraschende Wärme, die, wie Reißzahn wusste, die Eier warm halten sollte. Solche Sauriernester wie dieses hatte er schon viele gesehen.
    »Woher hast du gewusst, dass es hier war?«, fragte Panthera verwundert.
    Seine Augen blitzten triumphierend auf. »Ich hab es gerochen. Jetzt aber in Deckung.«
    Sie zogen sich schnell in das hohe Gras zurück und pressten den Körper dicht an die Erde. Das Nest war unbewacht, und obwohl das nicht ungewöhnlich war, machte es Reißzahn doch jedes Mal wieder nervös. Jemand könnte zurückkommen oder sie bereits beobachten.
    Er erinnerte sich an Zeiten, in denen er ganze Kolonien von Nestern finden konnte, zwölf oder mehr, die von mindestens einem Saurier bewacht wurden, während die anderen auf Jagd waren. Die Mütter gingen von einem Ei zum anderen und kontrollierten sie. Manchmal legten sie sich auch daneben, um sie zu wärmen. Um sich auf die Eier zu setzen, wie das die Vögel taten, waren die Saurier zu groß und zu schwer. Doch in den beiden letzten Jahren hatte er nur noch einzelne Nester gesehen und auch das immer seltener.
    Wo war die Mutter? Oder eben auch der Vater? Möglicherweise waren beide auf die Jagd gegangen, hatten auf die gute Tarnung ihres Nestes vertraut. Das war es auch, verdeckt vom hohen Gras am Rand des Steilhangs zum Ufer. Reißzahn hätte es vielleicht übersehen, wäre da nicht der für die Nester typische Geruch gewesen, mit dem er im Laufe der Jahre sehr vertraut geworden war.
    Reißzahns große Ohren, die so spitz waren, dass sie fast wie Hörner aussahen, drehten sich, eines nach Westen, das andere nach Osten. Er hörte den Wind am Kliff, wie die Wellen sich entlang der Küste brachen, er hörte das Trippeln eines kleinen Nagers nicht weit entfernt, doch er schnappte kein Geräusch auf, das die Rückkehr eines Sauriers ankündigen könnte. Sein an den Boden gedrückter Bauch empfing keine Vibrationen von näher kommenden Schritten. Aus den ledrigen Eiern selbst konnte er nicht schließen, welche Art von Kreatur sie enthielten, doch die Tatsache, dass das Nest so hoch gelegen war, ließ Reißzahn vermuten, dass es Flieger waren. Er wandte die goldgesprenkelten Augen zum Himmel. Nichts außer Vögeln.
    Er zwang sich, noch einem Moment länger zu warten, wobei ihm das Herz ungeduldig an die Rippen schlug. Der Speichel floss ihm im Mund zusammen. Seinen langen, buschigen Schwanz hielt er ganz ruhig. Der Wind spielte in seinen Schnurrhaaren. Er presste sich noch fester an die Erde, angespannt und bereit. Die riesigen Augen in dem schmalen Gesicht waren fest auf die Eier gerichtet, als ob er sie mit dem Blick durchbohren und seine Beute darin sehen könnte.
    »Jetzt«, sagte er.
    Reißzahn stürmte mit schnellen, geduckten Sätzen vor, Gras streifte an seinem Bauch entlang, und sprang in das Nest, mitten zwischen die Eier. Sie waren ebenso groß wie er. Panthera und er nahmen sich je eines vor und machten sich an die Arbeit. Um die Schale knacken zu können, bekam Reißzahn das Maul nicht weit genug auf. Daher drückte er mit dem Kopf gegen das Ei und rollte es nach außen an den höheren Schlammrand des Nests, damit es ihm nicht fortkullern konnte. Dann presste er die Schulter gegen die Schale und streckte seine vier Krallen aus. Sie waren kräftig und stabil und hatten gebogene Haken an den Enden.
    Mit den Krallen der linken Pfote hielt er das Ei, und mit denen der rechten kratzte er vier Rillen in die Schale. Flüssigkeit quoll durch die Risse und mit ihr zusammen ein köstlicher Geruch. Er zog seine Krallen aus der Schale, versenkte die Spitzen in einen Spalt und riss ein

Weitere Kostenlose Bücher