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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Jagd.
    Der Strudel von Geräuschen schwoll an und tobte näher. Krallen kratzten wild über die Rinde, Eltern schrien die Namen ihrer Kinder. Von der Lichtung her hörte Dämmer das Zischeln sich aufblähender Segel, als Chiropter blindlings in die Dunkelheit sprangen, um zu entkommen. Seine Nasenflügel zuckten und seine Augen begannen zu tränen, als die Luft von dem schweren Geruch durchzogen wurde, den die Feliden bei ihrer Raserei ausschwitzten.
    Sein Vater schrie ihm etwas zu, doch Dämmer konnte ihn kaum verstehen, so weit entfernt klang er.
    »Dämmer, Sylph, fertig machen zum Sprung!«
    Dicht beim Stamm hatte sich ein Felid auf ihren Ast gezogen – und diesmal blieb er. In seinen Augen blitzte es auf, während er sie anstarrte. Er war lang und wirkte gerissen, war etwa doppelt so groß wie ihr Vater, mit einem grauen, schwarz gefleckten Körper und einem langen, weiß gestreiften Schwanz. Die spitzen Ohren waren nach hinten eng an den Kopf gelegt, auf das vom Schweiß matte Fell. Sein Maul wirkte klein, bis er es aufriss und es riesig wurde, eingerahmt von schmalen, scharfen Zähnen vorne und kräftigeren weiter hinten.
    »Dämmer!«, schrie seine Mutter, doch er konnte sich nicht abwenden.
    »Papa, komm schon!«, jammerte er.
    »Los, Dämmer!«, sagte sein Vater.
    Fast ehrfürchtig sah er zu, wie sich sein Vater auf die Hinterbeine aufrichtete, seine Segel blähte und nun doppelt so groß wirkte.
    »Hört auf damit!«, brüllte er dem Feliden zu. »Wir sind Verbündete! Das muss aufhören!«
    Es war unglaublich, aber Ikarons Stimme übertönte den Lärm, und für einen erstaunlichen Augenblick schien das Knurren und Kreischen abzuschwellen. Der Felid auf ihrem Ast legte vor Überraschung den Kopf etwas schief und seine Ohren zuckten. Dämmer spürte, wie Sylph an ihm zerrte, doch er konnte seinen Vater nicht allein lassen.
    »Wir haben uns als Tiere zusammengeschlossen!«, rief Ikaron. »Zusammen haben wir die Saurier überlebt. Wir haben die Erde in Frieden geteilt.«
    »Du bist also der Anführer?« Das tiefe Knurren des Feliden schien aus seinem Bauch zu kommen.
    »Ich bin Ikaron, der Anführer dieser Kolonie. Wie ist dein Name?«
    »Reißzahn.« Bei dieser Antwort zogen sich die Lippen des Feliden zurück und legten riesige, vierzackige Zähne hinten in den Kiefern frei.
    »Und wer ist der Anführer eurer Meute?«, verlangte Ikaron zu wissen.
    »Der bin ich.«
    »Dann musst du Patriofelis kennen.«
    Dämmer sah, wie der Felid vor Abscheu zusammenzuckte.
    »Wir haben uns von Patriofelis getrennt.«
    »Er ist ein kluger Anführer.«
    »Er hat sich selbst zum Aussterben verdammt. Die Welt hat sich verändert, doch sein Geschmack ist derselbe geblieben. Unserer nicht.«
    »Weiß Patriofelis, dass ihr Tierkameraden jagt?«
    Reißzahn antwortete nicht.
    »Ich beschwöre dich, damit aufzuhören«, sagte Ikaron. »Hör auf mit dieser Barbarei und lass uns in Frieden leben. Das ist immer der Weg gewesen.«
    »Nicht mehr«, sagte Reißzahn – und sprang.
    Ikaron machte einen Satz zurück, aber der Felid erwischte ihn mit den Tatzen und schlug ihn krachend gegen die Rinde.
    »Papa!«, schrie Dämmer auf.
    »Flieg los! Flieg!«, schrie sein Vater sogar noch, als er um sich schlug, um sich zu befreien.
    Dämmer sah, wie der Felid das Maul aufriss, sah die Zähne in dem schwachen Licht feucht aufblitzen, dann versetzte ihm seine Mutter einen harten Stoß und er stürzte vom Ast. Er entfaltete sein Segel und flatterte. Die Luft war voller verzweifelter Chiropter, die über die Lichtung in die Sicherheit der weiter entfernten Bäume glitten.
    »Mama! Sylph!«, schrie er.
    »Bleib bei deiner Schwester!«, hörte er seine Mutter rufen. Da wurde ihm klar, dass sie auf dem Ast geblieben war, um seinem Vater zu helfen.
    Er flatterte auf der Stelle und blickte zurück zu seinen Eltern, die sich voller Ingrimm im Kampf mit Reißzahn befanden. Was sollte er bloß tun? Da hörte er seine Schwester ängstlich nach ihm rufen, und nun schwenkte er ab und flatterte hinter ihr her. Er zitterte so heftig, dass er das Gefühl hatte, seine Gliedmaßen würden abfallen. Durch die Luft taumelnd schickte er Geräusche aus, um besser sehen zu können, dann holte er Sylph ein.
    »Wo sind Mama und Papa?«, keuchte sie.
    »Sie sind …« Er wusste nicht, wie er es sagen sollte. »Sie kämpfen mit dem Feliden.«
    Ihre Stimme zitterte. »Ich kann kaum etwas sehen, Dämmer.«
    »Ich bin dein Auge«, versuchte er sie zu beruhigen. »Wir sind

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