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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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Dämmer konnte das Blutbad bis hierher riechen: eine ekelerregende Mischung aus Blut, Kot, Urin und Schweiß. Der Gedanke, dass der Chiropter seine Mutter oder sein Vater sein könnte, bereitete ihm solche Übelkeit, dass er sich mitten in der Luft übergeben musste.
    Dämmer blickte nach unten und bemerkte noch einen weiteren Feliden, der über einen Ast schlich und wartete. Sie waren kluge Tiere, die nicht nur für sich selbst jagten, sondern die Beute ihren Genossen zutrieben.
    »Wir müssen in den Wald«, sagt er seiner Schwester. »Im Mammutbaum sind zu viele.«
    Sylph glitt bereits besorgniserregend niedrig, und Dämmer war klar, dass sie bald landen musste. Er flog vor ihr her und durchsuchte die Nacht mit seinem Klangsehen, wobei er ihren Baum mied, wo immer noch Chiropter halb blind über die Äste krabbelten und sich in die Luft warfen. Dämmer leitete seine Schwester in den Wald zu einem sicheren Landeplatz.
    Als sie auf dem Ast aufsetzten, hörte Dämmer ein erschrecktes Quietschen und entdeckte eine Gruppe von Chiroptern, die sich in einer tiefen Rindenfurche zusammengekauert hatten.
    »Ist in Ordnung«, flüsterte er. »Wir sind’s nur, Sylph und Dämmer.«
    Sie waren zu fünft, und als sie aufblickten, erkannte er Jib und vier andere Neugeborene, alle von ihren Familien getrennt.
    »Hier ist kein Platz für dich«, zischte Jib Dämmer zu. »Hau ab.«
    »Ihr solltet hier besser nicht bleiben«, sagte Dämmer. »Wenn einer von denen vorbeikommt, riecht er euch und ihr sitzt in der Falle.«
    »Du willst nur unser Versteck«, sagte Jib.
    »Wir sollten gegen sie kämpfen«, sagte Sylph wütend. »Nicht uns verstecken. Hätten wir alle zusammen gekämpft, dann …«
    »Du weißt nicht, wovon du redest«, schnauzte Dämmer sie an.
    »So schwach sind wir nicht«, sagte Sylph. Sogar jetzt war sie so wütend, dass er sich Sorgen machte, sie würde etwas Unbesonnenes unternehmen.
    »Wir müssen sehen, dass wir von denen wegkommen.«
    »Du redest genau wie Papa«, erwiderte sie scharf. »Immer nur wegrennen.«
    »Du hast sie angreifen sehen!«, zischte Dämmer sie an. »Du hast ihre Zähne gesehen.«
    Sylph gab keine Antwort, sie atmete nur schwer.
    »Wir müssen uns verstecken«, seine Stimme bebte, »und dann weitersehen.«
    »Kommt mit uns«, sagte Sylph zu Jib und den anderen Neugeborenen.
    »Meine Eltern haben gesagt, ich soll hier auf sie warten«, sagte einer von ihnen.
    »Sie haben gesagt, sie kämen gleich zurück«, sagte ein anderer.
    »Die Feliden bringen euch um, wenn sie euch hier finden«, sagte Dämmer.
    »Dämmer kann im Dunkeln sehen«, sagte Sylph. »Er kann sie kommen sehen. Er sorgt dafür, dass euch nichts geschieht.«
    Dämmer war sich keineswegs sicher, dass er das könnte. Sein Magen drehte sich immer noch um, und das Bedürfnis, sich wieder zu übergeben, war geradezu überwältigend. Doch das Vertrauen seiner Schwester erstaunte ihn, und er schickte ein Sperrfeuer an Jagdschnalzern aus, leuchtete alle Äste in ihrer Umgebung ab, bis er sicher war, dass kein Felid angeschlichen kam.
    Vom Mammutbaum her hallten immer noch die Schreie des Gemetzels durch die Nacht. Wie lang dauerte das nun schon? Ewig, wie es schien. Er wollte unbedingt seine Eltern finden, doch er wusste, dass es viel zu gefährlich war, sich dem Baum zu nähern. Er wünschte, sein Vater würde ihm sagen, was zu tun wäre. Ganz instinktiv wollte er von hier weg. Die Stelle, an der sie sich befanden, gefiel ihm nicht. Sie war viel zu offen und angreifbar.
    »Wir gehen tiefer in den Wald«, entschied Dämmer.
    »Aber wie sollen unsere Eltern uns dann finden?«, fragte Jib und klang zum ersten Mal verängstigt. »Ich bleibe hier.«
    Die anderen Neugeborenen murmelten matt, dass sie das auch wollten.
    Mit dem Echosehen nahm Dämmer undeutlich eine Bewegung wahr.
    »Da kommt irgendwas«, keuchte er.
    Schnell schickte er einen neuen Hagel von Tönen ab und entdeckte einen Feliden, der einen sich in ihre Richtung bewegenden Chiropter jagte. Schließlich sprang er und glitt davon. Der Felid hielt an und prüfte die Luft mit der Zunge. Seine Augen flammten auf, als er sie in Richtung von Dämmer richtete. Der machte sich ganz flach, hielt den Atem an und hoffte, dass sein Körper wie ein Stück Rinde aussähe.
    Mit gesenktem Kopf machte der Felid zwei bedächtige Schritte, und seine Nasenlöcher weiteten sich und zogen sich wieder zusammen.
    »Wir müssen weg«, flüsterte Dämmer Sylph zu. »Er kommt hierher.«
    »Kommt mit

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