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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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sie ein.
    Wie eine Klammer hatte ihm die Angst im Nacken gesessen, dass er zu einem Gemetzel zurückkehren würde, doch alles war still, als er zwischen den Ästen hindurch in Spiralen nach unten zum Nest seiner Familie flog. Sein Echosehen zeigte ihm nur friedlich in die Rinde gekuschelte schlafende Chiropter. Er hatte eigentlich vorgehabt, Alarm zu schlagen, sobald er sie erreichte, doch nun war er etwas verunsichert. Alles schien so normal zu sein. Wollte er unbedingt Panik auslösen? Er hatte doch wirklich nur Pfotenabdrücke gesehen. Woher wusste er überhaupt, dass sie von Feliden stammten?
    Doch er musste zumindest seinen Vater wecken, das stand außer Frage. Fast würgend vor Atemnot landete er auf dem Ast seiner Familie. Mond und Sterne waren nun von Wolken verhangen und es war sehr dunkel. Er eilte zu Ikaron und gab ihm einen kleinen Stups gegen den grau gestreiften Kopf.
    »Papa? Papa?«
    Einen Augenblick lang ließen ihn die Nähe seiner Familie, ihr Geruch und die vertraute Rinde unter seinen Krallen seine Ängste lächerlich erscheinen.
    Sein Vater erwachte, schlug die Augen auf und richtete sie sofort auf seinen Sohn.
    »Dämmer, was ist passiert?«
    »Irgendwas ist vom Festland zu uns rübergekommen«, keuchte er.
    »Wo bist du gewesen?«
    »Ich war bei der Brücke.«
    »Bist du geflogen?«, fragte seine Mutter und stand auf.
    Dämmer blickte hinüber zu Sylph, die nun auch aufgewacht war, aber noch etwas verwirrt aussah.
    »Was ist los?«, fragte sie.
    »Ich hab Fußspuren im Sand gesehen«, sagt Dämmer. »Sehr viele.«
    »Beschreibe sie«, sagte sein Vater.
    Während er das tat, sah Dämmer, wie seine Eltern mehrfach Blicke wechselten.
    »Ein Vogel hat Dämmer den Unfug von einem Angriff der Feliden in den Kopf gesetzt.«
    »Davon hast du mir gar nichts erzählt«, sagte ihre Mutter.
    »Ich hielt es für unnötig. Der Vogel hat nur versucht, Ärger zu machen.«
    »Hat Dämmer jetzt auch mit irgendwelchen Vögeln gesprochen?«, fragte Sylph.
    »Du sollst doch nachts nicht alleine losziehen«, schimpfte ihn seine Mutter. »Und du weißt, dass du nicht fliegen darfst! Was hat dir dieser Vogel gesagt?«
    »Der Vogel behauptet«, erklärte Ikaron bewusst ganz gelassen, »dass eine Gruppe von Feliden auf dem Festland auf Raubzug war und Tiere und Vögel angegriffen hat.«
    »Habe ich also Spuren von Feliden gesehen?«, fragte Dämmer.
    »Kann sein«, sagte Ikaron. »Aber ich bin nicht davon überzeugt, dass wir deshalb Alarm schlagen müssen.«
    »Die Feliden sind immer friedlich gewesen«, sagte ihre Mutter, doch Dämmer fand, dass sie etwas besorgt klang.
    »Ich informiere die Ältesten morgen früh«, sagte Ikaron. »Wir sollten alle wissen lassen, dass Feliden auf der Insel sind. Wir haben hier immer ein abgeschirmtes Leben geführt, und ich möchte nicht, dass irgendjemand aus unseren Familien Angst hat.«
    Von den Ästen weiter unten kam das Kreischen eines Chiropters.
    Irgendetwas sauste blitzschnell den Stamm entlang. Dämmer konnte gerade noch einen langen Körper und einen Schwanz erkennen, bevor es weiter oben im Baum verschwand.
    »Da ist was im Baum!«, schrie eine Stimme.
    »Keine Angst!«, hörte Dämmer ihren Vater rufen. »Das sind befreundete Tiere, die euch nichts antun.«
    Ein weiteres Wesen sprang dicht beim Stamm auf ihren Ast und Dämmer erstarrte. Das Tier verharrte einen winzigen Moment, gerade lange genug, um Dämmer sein stumpfes Gesicht zuzuwenden. In seinen Augen blitzte es hell auf, Sylph stieß einen gellenden Schrei aus. Dann kauerte sich das Tier kurz zusammen und sprang weiter hinauf.
    »Papa?«, fragte Sylph bebend, »sind das Feliden?«
    »Ja«, antwortete Ikaron.
    »Was wollen die?«, fragte ihre Mutter mit gepresster Stimme?
    »Ich rede mit ihnen«, sagte Ikaron. »Das ist schon in Ordnung.«
    Ein dritter Felid strich vorbei, dann Sekunden später ein vierter. Von oben kamen immer mehr überraschte und erschreckte Schreie. Dämmer zitterte so stark, dass er befürchtete, vom Ast zu rutschen.
    »Was ist das?«, rief jemand von oben.
    »Pass auf!«
    »Wo ist es hin?«
    »Ich kann nichts sehen!«
    »Es kommt!«
    »Spring!«
    Dann setzte das Geschrei ein, dieses schreckliche hohe Kreischen, das Tiere ausstoßen, die sich in größter Gefahr befinden oder furchtbare Schmerzen erleiden. Dämmer blickte zu seinem Vater in der Hoffnung auf irgendeine, wenn auch noch so unwahrscheinliche Erklärung. Bösartiges Knurren durchdrang die Dunkelheit.
    Die Feliden waren auf der

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