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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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nichts mehr. Nur noch das Summen der Insekten drang an seine Ohren
    Seine Nackenhaare sträubten sich. Ob da etwas auf der Insel war? Ob die fleischfressenden Feliden herübergekommen waren? Zwitscherten Feliden? Das kam ihm unwahrscheinlich vor.
    Gerne hätte er seinen Vater geweckt und ihn gebeten, Wachposten aufzustellen, doch er wusste, dass das aussichtslos war. Sein Vater würde nur sagen, das sei nicht nötig. Die Vögel würden lediglich versuchen, die Chiropter zu erschrecken und von der Insel zu vertreiben.
    Langsam krabbelte er von seiner Familie fort und über den Ast auf die Lichtung zu. Hell schien der volle Mond und beleuchtete den Wald. Er flog. Er hatte nicht vergessen, wie das ging. Das Wissen steckte in seinen Muskeln und Nerven und wurde sofort mit dem ersten Flügelschlag wach. Mit wirbelnden Segeln stieg er die leere Lichtung empor, und der Mond lieferte ihm alles Licht, das er brauchte.
    Er würde der Wachposten der Kolonie sein. Er war klein und in der Nacht unsichtbar und er konnte jederzeit wegfliegen. Fast wünschte er sich, es befände sich eine Bedrohung auf der Insel, und dann würden sie vielleicht sehen, wie tapfer und nützlich er war, und ihm nicht länger aus dem Weg gehen.
    Innerhalb kürzester Zeit hatte er den Wipfel des Mammutbaums hinter sich gelassen, und ganz kurz sackte ihm der Magen etwas ab, als der silbrige Horizont um ihn herum auftauchte. Er kreiste, um sich zu orientieren. Zum ersten Mal in seinem Leben konnte er die ganze Insel überblicken und sie wirkte erschreckend klein. Sein ganzes Leben hatte er hier auf diesem kleinen, bewaldeten Hügel verbracht.
    Auch das Festland hatte er noch nie gesehen. Eine schimmernde Wand von Bäumen erstreckte sich endlos nach Süden und Norden. Da waren seine Eltern hergekommen. Die Welt war riesig, und nichts deutete darauf hin, dass sie irgendwo aufhörte.
    Mit dem Echosehen entdeckte Dämmer die schlafenden Vögel auf ihren Ruheplätzen in den höheren Ästen. Sein dunkles Fell ließ ihn mit dem Nachthimmel verschmelzen. Nun flog er in Richtung der zwitschernden Geräusche auf die Ostküste der Insel und auf das Festland zu.
    Wachsam, was neue Gerüche betraf, schmeckte er die Luft. Er lauschte angestrengt und schickte gelegentlich Klangblitze in den Wald, um zu sehen, ob irgendetwas zwischen den Ästen oder im Unterholz lauerte. Er wusste nicht, wonach er suchte. Er war sich nicht einmal sicher, wie Feliden überhaupt aussahen, und nahm lediglich an, dass sie vier Beine und ein Fell hatten. Die dichte Pflanzendecke konnte nahezu alles verbergen. Er war nicht darauf eingestellt, tiefer zu gehen, und war froh, so hoch fliegen zu können. Da war er außer Gefahr.
    Er war überrascht, wie schnell der Wald aufhörte, und er schoss nun über das Wasser dahin. Bruchstückhaft wurde der Mond an der Oberfläche gespiegelt. Die Insel war immer noch vom Wasser umgeben, abgetrennt vom Festland. Sie war sicher. Nichts konnte herüberkommen. Langsam flog er darüber weg und fragte sich, ob nun gerade Flut oder Ebbe war – und dann sah er die Brücke.
    Sie war genau so, wie sein Vater sie beschrieben hatte, ein sandiger Pfad, der das Festland mit der Insel verband. Er war sehr schmal und wurde noch schmaler, während Dämmer hinsah. Wasser leckte an den Seiten, und näher an der Küste schwemmte es bei der steigenden Flut bereits ganz über den Sand hinweg.
    Dämmer lachte vor Erleichterung leise auf. Der Pfad konnte jeweils nur wenige Minuten lang sichtbar sein. Welche Tiere würden ihn entdecken, wenn sie nicht gerade direkt bis ans Ufer kamen? Und warum sollten sie das? Das Festland hatte eine steile Felsküste, und nach unten zu klettern, wäre schwierig, der Weg zurück aber noch anstrengender.
    Als er wieder zur Insel abdrehte, schickte er eine Reihe von Geräuschen ab. Das Wasser war eine Fläche von blassem Silber und der deutlich hellere Sand des Pfads war gesprenkelt von leicht dunkleren Mustern. Dämmer runzelte die Stirn, ging tiefer und schickte einen kräftigeren Klangstrahl aus. Wieder flammte der sandige Pfad in seinem Kopf auf.
    Auf der weichen Oberfläche des Pfads befanden sich zahllose Abdrücke von Pfoten mit vier Krallen.
    Es waren so viele, dass sie ineinander verschmolzen und sich nun langsam auflösten, als sie sich mit dem schwappenden Wasser füllten.
    Und alle Pfotenabdrücke zeigten auf die Insel.

Kapitel 11
Das Gemetzel
    R eißzahn pirschte weiter durch das Unterholz. Seine Augen mit den vollständig geweiteten

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