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Nachtflügel

Nachtflügel

Titel: Nachtflügel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kenneth Oppel
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spähte hinauf in die Bäume und entdeckte jetzt noch mehr Chiropter mit grauem Fell, die wachsam an den Enden hoher Äste saßen.
    »Wir haben eure Überquerung beobachtet«, sprach Kona weiter. »Ist jemand von euch von den Vögeln verletzt worden?«
    »Neun von uns haben den Übergang nicht geschafft«, sagte Sol. »Sie sind ertrunken, nachdem die Vögel sie ins Wasser getrieben haben.«
    Ein Zucken der Ohren war Konas einzige Reaktion auf diese Information. Nichts schien sie aus der Ruhe zu bringen. Ihr Blick hob sich zu dem Vogelschwarm, der sich erst jetzt über der Insel verteilt hatte.
    »Eure Überquerung muss schwierig gewesen sein«, bemerkte sie. »Vor allem ohne Wind, der euch angetrieben hätte.«
    »Wir haben die Thermik genutzt, um hoch aufzusteigen«, erzählte Ikaron ihr. »Wir konnten nicht auf günstige Winde warten. Wir mussten einer Meute von Felidenschurken entkommen.«
    Kona nickte wieder. »Ja, wir haben ihre Bewegungen beobachtet.«
    Überrascht blickte Dämmer zu Sylph hinüber.
    »Ihr wisst von diesen Ungeheuern?«, fragte Nova.
    »Gewiss. Deshalb hat Gyrokus ja überall Wachposten aufgestellt. Wir haben beobachtet, wie sie gestern Abend hinübergewechselt sind. Doch wir wussten nichts von irgendwelchen Chiroptern, die auf der Insel leben. Gyrokus wird mit euch sprechen wollen. Bitte folgt mir, ich bringe euch jetzt zu ihm.«
    »Ja, wir kommen mit«, sagte Ikaron.
    Kona war höflich, blieb aber zurückhaltend. Dämmer war sich nicht so ganz sicher, ob ihm die Art gefiel, wie sie mit seinem Vater sprach. Es war ihm zu wenig respektvoll. Und doch strahlte sie Selbstvertrauen und Disziplin aus, und Dämmer konnte nicht anders, als das gerade jetzt als ungeheuer beruhigend zu empfinden. Er war so dankbar dafür, dass das erste Wesen, das sie in dieser neuen Welt getroffen hatten, ausgerechnet ein Chiropter war und dass sie irgendwohin in Sicherheit gebracht wurden.
    Ikaron und Kona unterhielten sich weiter, während Barat und Sol aufbrachen, um bei ihren Familien nach dem Rechten zu sehen. Als er sah, dass Nova sich umwandte und direkt auf ihn zukam, schluckte Dämmer nervös. Er bezweifelte, dass sie vorhatte, ihn dafür zu loben, dass er der Kolonie geholfen hatte, das Festland zu erreichen, denn dafür war ihr Gesicht viel zu streng.
    »Hör mir mal gut zu«, sagte Nova leise. »Du darfst hier nicht fliegen. Die Chiropter auf dem Festland sind nicht so nachsichtig wie dein Vater. Sie pflegen sehr viel barscher mit Anomalien umzugehen.«
    »Was würden sie denn tun?«, flüsterte Dämmer mit piepsiger Stimme.
    »Dich wahrscheinlich schlagen und dann fortjagen – und uns gleich mit. Zu deinem eigenen Besten und zum Besten dieser Kolonie: Nutze deine Segel nur zum Gleiten. Hast du mich verstanden, Dämmer?«
    Ihre Eindringlichkeit schüchterte Dämmer ein, aber nicht so sehr, dass er nicht Empörung darüber empfand, dass sie ihm vorschrieb, was er zu tun hätte.
    »Ich hab gedacht, dass nur der Anführer …«
    »Da hast du auch recht, Dämmer«, sagte sein Vater plötzlich neben ihm. »Nur die Anweisungen des Anführers müssen in der Kolonie befolgt werden. Aber in diesem Fall muss ich Nova widerstrebend recht geben. Wir sind hier Fremde und ich möchte nicht die Freundlichkeit von Gyrokus’ Kolonie strapazieren. Wir müssen jede Provokation vermeiden, zumindest fürs Erste. Nova, du hättest meinem Sohn keine Predigt halten müssen, ich hätte ihn schon selbst darum gebeten.«
    »Ich wollte ja nur sichergehen«, antwortete Nova kühl.
    Als die Kolonie sich versammelt hatte, führten Kona und einige ihrer Soldaten sie tiefer in den Wald. Ikaron und die Ältesten glitten vorneweg, Dämmer und Sylph erst ein ganzes Stück weiter hinten. Es war eine Erleichterung, sich weg von den Feliden zu bewegen, auch wenn das zugleich bedeutete, weiter weg von ihrem Zuhause. Dämmer drehte sich noch ein letztes Mal zur Insel um, aber die Sicht war ihm bereits von den Bäumen versperrt.
    Er trat ein in eine neue Welt. Alles um ihn herum schien vom Licht einer anderen Sonne beleuchtet. Es gab viel, was ihm vertraut war, doch bald schon hatte er Schlingpflanzen, Blumen und Früchte entdeckt, die er von der Insel her nicht kannte. Er schlürfte die Luft und schmeckte Blütenstaub und Samen, die es auf ihrer Insel nicht gab. Als er auf einem Baum landete, um wieder nach oben zu klettern, rutschten seine Krallen ab, und er bemerkte, wie glatt und hart die Rinde war. Das war also das Festland, hier waren seine

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