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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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weiter voraus … vielleicht … die Funkstation meinte … Aber mein Bordlicht hat nachgelassen, und ich konnte meine Hände nicht mehr sehen. Ich wollte mein Außenlicht andrehen, um wenigstens das Tragdeck zu sehen: ich sah nichts. Ich kam mir vor wie tief in einem großen Loch, aus dem man schwer rauftonnte. Dann fing mein Motor an zu vibrieren …« 
    »Nein.« 
    »Nein?«
    »Nein. Wir haben ihn inzwischen überholt. Er ist tadellos. Aber man meint immer, der Motor vibriert, wenn man Angst hat.« 
    »Wer hätte da nicht Angst gehabt! Das Gebirge war über mir. Wenn ich höher wollte, kam ich in starke Böen. Wissen Sie, wenn man nichts sieht … die Böen … Anstatt zu steigen, verlor ich hundert Meter. Ich konnte nicht mal mehr den künstlichen Horizont sehen, nicht mal mehr die Manometer. Ich hatte das Gefühl, daß mein Motor an Touren verlor, daß er heißgelaufen war, daß der Öldruck fiel … Und das alles im Dunkeln … halb wie verrückt. Ich habe Gott gedankt, wie ich eine erleuchtete Stadt wiedersah.« 
    »Sie haben zuviel Einbildungskraft. Gehen Sie.« 
    Und der Pilot geht.
    Riviere lehnt sich in den Sessel zurück und fahrt sich mit der Hand durch das graue Haar.
    ›Das ist der tapferste von meinen Leuten. Daß er heil davongekommen ist in der Nacht neulich, ist eine Leistung. Aber ich schütze ihn vor der Furcht…‹
    Dann, als ihn von neuem eine weichere Regung anwandelte:
    ›Um geliebt zu werden, braucht man nur zu bemitleiden. Ich bemitleide so gut wie nie, oder ich verberge es. Dabei möchte ich mich wohl auch mit Freundschaft und Liebe umgeben. Einem Arzt ist das vergönnt in seinem Beruf. Aber ich diene nicht Menschen, sondern einer Sache. Ich muß die Menschen zurechtschmieden, daß auch sie ihr dienen. Oh, ich fühle sie so deutlich, abends in meinem Büro vor den Flugberichten, diese geheime Gesetzmäßigkeit: wenn ich mich gehen lasse, wenn ich den auch noch so geregelten Dingen ihren Lauf lasse - gleich kommen die Störungen und Unglücksfälle. Als wäre es mein Wille allein, der das Flugzeug daran hindert, unterwegs Schaden zu nehmen, oder den Sturm, ihm in die Quere zu kommen. Manchmal bin ich selbst über meinen Einfluß betroffen.
    Er sinnt weiter:
    ›Das ist vielleicht ganz einfach. So wie der ewige Kampf des Gärtners um seinen Rasen.
    Kraft seiner bloßen Hand treibt er den Urwald in die Erde zurück, die jeden Augenblick bereit wäre, ihn emporwuchern zu lassen.‹ 
    Er denkt an den Piloten:
    ›Ich schütze ihn vor der Furcht. Mein Angriff galt nicht ihm, sondern in ihm dem Widerstreben, das die Menschen angesichts des Unbekannten lahmt. Wenn ich ihn anhöre, ihn bemitleide, sein Erlebnis wichtignehme, so wird er meinen, er käme aus Wunder was für einem geheimnisvollen Abenteuer zurück; und Angst hat man nur vor dem Geheimnisvollen. Es darf nichts Geheimnisvolles mehr geben. Es müssen Menschen hinuntergestiegen sein in diesen dunklen Brunnen, und wenn man sie fragt: Was ist euch begegnet?, so müssen sie sagen können: Nichts. Dieser Mann muß hinunter ins innerste Herz der Nacht, wo sie am dichtesten ist, selbst ohne die kleine Grubenlampe, die die Hände oder das Tragdeck bescheint: nur mit seinen beiden Schultern muß er das Unbekannte aus dem Wege drängen.‹ 
    Gleichwohl verband im innersten Grunde eine schweigende Freundschaft Riviere und seine Piloten. Sie waren Menschen vom gleichen Schlage und alle beseelt vom gleichen Siegeswillen. Aber Riviere weiß sich anderer Schlachten zu erinnern, die er geschlagen hat um die Eroberung der Nacht. 
    Man scheute in den offiziellen Kreisen vor diesem dunklen Bereich zurück wie vor einem unerforschten Dickicht. Eine Mannschaft mit zweihundert Kilometern in der Stunde gegen die Gewitter und Nebel und sonstigen Hindernisse auszusenden, die die Nacht verborgen hielt, schien ihnen ein Abenteuer, das allenfalls bei der militärischen Fliegerei zulässig war: man verläßt bei klarer Nacht einen Flugplatz, man wirft seine Bomben ab, man kehrt zu demselben Flugplatz zurück. Aber ein regelmäßiger Verkehrsdienst bei Nacht war zum Scheitern verurteilt. »Das ist für uns«, hatte Riviere erwidert, »eine Lebensfrage, weil wir den Vorsprung, den wir tagsüber vor den Eisenbahnen und Dampfern gewonnen haben, jede Nacht wieder verlieren.« 
    Riviere hatte gelangweilt zugehört, als sie von Bilanzen redeten und Versicherungen und vor allem von der öffentlichen Meinung: »Die öffentliche Meinung«, rief er dazwischen,

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