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Nachtflug

Nachtflug

Titel: Nachtflug Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antoine de Saint-Exupéry
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mit der gleichen beklemmenden Unentrinnbarkeit.
    »Wo sind wir?« wiederholte der Funker. 
    Fabien tauchte wieder empor und nahm, nach links gelehnt, seine bedrohte Wacht wieder auf. Wieviel Zeit und Mühsal noch, bis er loskommen würde aus diesen finstern Banden? Er zweifelte fast, ob er jemals loskommen würde, denn er setzte jetzt sein Leben nur noch auf dieses schmutzige, zerknüllte Stückchen Papier, das er schon hundertmal entfaltet und gelesen hatte, um seine Hoffnung zu nähren: »Trelew: dreiviertel bedeckt, schwacher Westwind.« Wenn Trelew nur dreiviertel bedeckt war, mußte man seine Lichter gewahren, sowie die Wolken zerrissen. Vorausgesetzt, daß . Die Verheißung spornte ihn an, seinen Kurs beizubehalten; aber da er trotzdem Zweifel hatte, kritzelte er an den Funker: »Ich weiß nicht, ob ich durchkommen werde. Fragen Sie, ob es rückwärts noch schön ist.«
    Die Antwort bestürzte ihn: »Commodoro meldet: Rückkehr nach hier unmöglich. Sturm.«
    Die ungewöhnliche Gewalt der Offensive begann ihm zu dämmern, die sich da von der Kette der Anden herab gegen das Meer wälzte. Ehe er die Städte noch erreichen würde, würde der Zyklon sie verschlingen.
    »Fragen Sie San Antonio nach dem Wetter.« 
    »San Antonio antwortet: Aufkommender Westwind, Gewitter im Westen. Vier Viertel bedeckt. San Antonio hört sehr schlecht wegen der Störungen. Ich höre auch schlecht. Ich glaube, ich werde bald die Antenne einziehen müssen wegen der Entladungen. Werden Sie umkehren? Was haben Sie vor?« 
    »Lassen Sie mich in Frieden. Fragen Sie Bahia Blanca nach dem Wetter.«
    »Bahia Blanca antwortet: Erwarten in höchstens zwanzig Minuten schweres Unwetter. West über Bahia Blanca.« 
    »Fragen Sie Trelew.«
    »Trelew antwortet: Orkan dreißig Sekundenmeter West und Regenböen.« »Melden Sie nach Buenos Aires: Sind von allen Seiten blockiert, Gewittersturm entwickelt sich auf tausend Kilometer, können nichts mehr sehen. Was sollen wir tun?«
    Uferlos, diese Nacht. Sie führte weder zu einem Hafen (die schienen alle unerreichbar) noch zum Morgen: in einer Stunde vierzig Minuten würde man keinen Betriebsstoff mehr haben. Früher oder später würde man sich blindlings in diese Finsternis hinabgleiten lassen müssen.
    Wenn er hätte den Tag erreichen können . Fabien dachte an den Morgen wie an einen goldenen Strand, an den man gespült würde nach dieser schweren Nacht. Die Küste der Ebenen, auftauchend unter dem bedrohten Flugzeug. Die ruhevolle Erde mit ihren schlummernden Farmen und ihren Herden und Hügeln. Unschädlich alle Fährnisse, die in den Wogen des Dunkels trieben. Wie er schwimmen würde, dem Tage zu, wenn er könnte!
    Aber er war umzingelt. Alles würde zum guten oder schlimmen Ende kommen hier in dem dicken Dunkel.
    Zwar: mehr als einmal schon war es ihm in bedrohten Nächten geschehen, daß der Tag dann doch noch gekommen war, wie Genesung.
    Aber wozu den Blick nach Osten richten, wo die Sonne lebte: zwischen ihnen war diesmal ein solcher Abgrund von Nacht, daß man nicht wieder zu ihr hinaufgelangen konnte.
XIII
    »Der Kurier von Asuncion kommt gut voran. In zwei Stunden werden wir ihn hier haben. Dagegen sehen wir eine beträchtliche Verspätung des Kuriers von Patagonien voraus, der in Schwierigkeiten scheint.« 
    »Sehr wohl, Herr Riviere.« 
    »Möglicherweise werden wir mit dem Start des Europakuriers nicht auf ihn warten: sowie Asuncion ankommt, halten Sie sich für weitere Anordnungen bereit.«
    Riviere durchflog abermals die Streckenmeldungen der nördlichen Stationen. Sie verhießen dem Europakurier eine Mondscheinfahrt: »Klar, Vollmond, Windstille -«: die Gebirge Brasiliens, scharf gegen den erhellten Himmel, ihren dichten Pelz schwarzer Wälder steil hinabtauchend in das lebendige Silber des Meeres. Wälder tiefschwarz, ungebleicht von den Mondstrahlen, die unablässig auf sie herabregnen. Und schwarz wie Wracks die Inseln im Meer. Und immer der Mond über der ganzen Strecke, ein unerschöpflicher Lichtquell. 
    Wenn er den Start befahl, so eröffnete sich der Besatzung des Europakuriers eine beständige Welt, sanft leuchtend die ganze Nacht durch. Eine Welt, in der nichts das Gleichgewicht von Licht und Schatten bedrohte. In die sich nicht einmal die leisen Winde einschmeichelten, die, zunehmend, in wenigen Stunden einen ganzen Himmel verderben können. 
    Aber Riviere zögerte angesichts dieses Glanzes wie ein Goldsucher angesichts verbotener Goldfelder. Die Ereignisse im

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