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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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längst nicht mehr, und der Fluch ereilt jeden Fremdländer, der sich in dessen Wirkungskreis begibt«, wandte Balthasar ein. »Und dieser Wirkungskreis hat sich seit Jahrhunderten nicht verändert. Es gibt keinerlei Anzeichen, die auf eine Abschwächung hindeuteten.«
    »Und dann wären da noch«, sagte Olivede widerstrebend, »die Schattengeborenen.«
    Olivedes Einwurf stimmte ihren Bruder nachdenklich. Die Schattengeborenen waren ebenfalls ein Produkt der großen entzweienden Magie – groteske Lebensformen, die aus den verwüsteten Ländern rings um die letzten Festungen der Magier hervorgingen und die Grenzlande heimsuchten. Ob der Fluch selbst sie geschaffen hatte oder ob der damalige Krieg mit seinen schädlichen Auswirkungen auf Land und Natur für ihre Entwicklung verantwortlich war, vermochte niemand mit Sicherheit zu sagen, und Spekulationen darüber galten als nicht salonfähig. Balthasar war niemals einem lebenden Schattengeborenen begegnet, und es verlangte ihn auch nicht danach. Große präparierte Exemplare aus den Grenzlanden wurden bisweilen öffentlich zur Schau gestellt; kleinere und noch groteskere landeten für Studienzwecke in der medizinischen Hochschule und der naturhistorischen Fakultät, um dort seziert zu werden. Er konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass diese winzigen, gesunden Säuglinge Schattengeborene sein sollten.
    »Möglicherweise«, sagte Floria, »haben sie von ihrem Vater noch mehr geerbt als nur das Sehvermögen.«
    Ihre Stimme hatte diesen beschwingten, unbesorgten Klang, dem zu misstrauen er im Laufe der Jahre gelernt hatte. »Wir könnten es ganz leicht herausfinden«, sagte sie. »Ich habe hier eine Nadel und eine Lampe. Wenn ich ein Loch in die Wand steche, würde die Lampe einen sehr feinen Lichtstrahl auf eine winzig kleine Hautfläche werfen. Wir wissen ja, dass das nicht sofort zum Tod …«
    »Nein!«, rief Balthasar. Der Kontakt mit einem solch feinen Lichtstrahl mochte zwar nicht tödlich sein, führte aber zu qualvollen Verbrennungen. Psychisch gestörte Nachtgeborene verstümmelten sich manchmal auf diese Weise selbst. Und jemanden draußen in einer perforierten Kiste dem Licht auszusetzen, galt immer noch als eine zulässige Methode, die Todesstrafe zu vollziehen, so barbarisch sie auch sein mochte. Die letzte Person, die man dergestalt exekutiert hatte, war ein wegen Schadenszauber verurteilter Magier gewesen.
    »Immerhin würde es für Klarheit sorgen«, sagte Floria und klang ein wenig überrascht angesichts seiner heftigen Reaktion.
    »Hast du dich jemals in die Dunkelheit oder in die Nähe der Dunkelheit begeben, teuerste Floria?«, fragte Olivede. Balthasar kannte die Antwort. Floria hatte tatsächlich einmal bei Sonnenuntergang lange genug draußen festgesessen, um zu spüren, wie das Leben langsam aus ihr heraussickerte, wie ihr Körpergewebe anfing sich aufzulösen. Diese Zersetzung war für die Lichtgeborenen ebenso schmerzhaft wie das Verbrennen für die Nachtgeborenen.
    Olivede nahm Florias Schweigen als Antwort. »Ich weiß zwar nicht, wie ihr Lichtgeborenen eure Säuglinge behandelt. Aber hier bei uns werden sie ganz sicher nicht gefoltert.« Die Glocke, die den Sonnenuntergang ankündigte, begann zu läuten, und sie stand auf. »Ich muss jetzt gehen, und wahrscheinlich komme ich heute Nacht nicht mehr zurück. Meine eigenen Patienten brauchen mich. Du hast mich darum gebeten, mich um die Unterbringung der Kinder zu kümmern, und das habe ich auch vor. Außerdem werde ich meine Ärztekollegen konsultieren, was die Frage des Sehvermögens der Kinder betrifft. Das kann allerdings ein oder zwei Tage dauern.« Sie lächelte ein wenig schadenfroh über ihre Anspielung auf die anderen Magier in der gehobenen Ausdrucksweise der feinen Gesellschaft, die sie für immer hinter sich gelassen hatte. »Tercelle wird sicherlich spätestens in dem Moment aufbrechen, in dem sie sich stark genug fühlt. Bis dahin sollte sie die Säuglinge unbedingt stillen – falls sie überhaupt dazu bereit ist.« Ihrem Gesichtsausdruck nach rechnete sie jedoch nicht damit. Und Balthasar war derselben Meinung. Tercelle hatte nicht einmal versucht, sich mit ihren Ultraschallsinnen ein Bild von ihren Sprösslingen zu machen.
    Als seine Schwester zu ihren Patienten zurückgekehrt und Floria zu Bett gegangen war, ging er nach unten in die Küche, wo im Herd ein Feuer brannte. Daneben schliefen die neugeborenen Zwillinge friedlich in ihren Bettchen. Er sondierte sie so

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