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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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Schläge und Kniffe kamen von Merivan, barfuß, ohne Kopfbedeckung in einem zerknitterten Nachtgewand. Amerdale heulte. Telmaine setzte sich schwindelnd auf, ihre Knochen hüpften umher wie Blasen, ihr Kopf schwebte auf ihren Schultern. Sie begriff, dass ihr Nachthemd und die Decken durchweicht waren. »Was tust du da?«, fragte sie in benommener Entrüstung. Im Gegensatz zu ihren Brüdern, die Telmaine gepeinigt hatten, bis sie schrie, hatte Merivan ihr niemals derart unsinnige Streiche gespielt.
    »Du wolltest nicht aufwachen!«, klagte Merivan sie an. »Die Zofe« – es war ein zitterndes Mädchen, das eine Schale umklammert hielt – »ist hereingekommen, um dir bei deiner Morgentoilette zu helfen, und du wolltest nicht aufwachen.«
    »Oh, um der Barmherzigkeit willen!«, sagte Telmaine und stützte sich auf einen Ellbogen. »Ich habe geschlafen.«
    »Du warst bewusstlos. Was hast du eingenommen?«
    »Nichts! Mein Mann arbeitet mit Süchtigen. Grundgütige Imogene, Meri, ich habe drei unbeschreibliche Tage hinter mir. Ich war vollkommen erschöpft.« Sie zog das nasse Laken zurück und schwang die Beine über die Bettkante, dann beugte sie sich vor und hielt das durchweichte Nachthemd von ihren Brüsten weg. »Es gibt absolut keinen Grund für all diese Hysterie.«
    Diese spezielle Anklage führte dazu, dass Merivan sich steif aufrichtete. »Ich entschuldige mich«, sagte sie eisig. »Und ich werde dich allein lassen, damit du dich ankleiden kannst. Das Frühstück wird in einer Stunde fertig sein.« Sie drehte sich um und verließ mit durchgedrücktem Rücken den Raum.
    »Und du auch, du kleine Idiotin«, blaffte Telmaine die händeringende Zofe an. »Wage es nicht, noch einmal in dieses Zimmer zu kommen, es sei denn, du wirst gerufen!«
    Amerdale kroch in Telmaines Arme und ersparte der Zofe deren weiteren Zorn und Telmaine spätere Reue. Die Mutter drückte ihre schluchzende Tochter an sich und spürte die Angst und Orientierungslosigkeit des Kindes, wiederum an einem fremden Ort aufzuwachen, erneut geweckt von einem Spektakel. »Scht, scht«, murmelte sie, während sie sich mühte, mit ihrem rationalen Geist zu begreifen, was in diesem traumwandlerischen Zustand so plausibel erschienen war. War das wirklich Ishmael di Studier gewesen, den sie berührt hatte? Was bedeutete es, dass sie Albträume gemeinsam hatten? Hatte er gestern irgendeine Art von Verbindung zwischen ihnen zustande gebracht? Wie konnte er es wagen! Oder war sie lediglich überreizt gewesen, wie Merivan es behauptete, überreizt in ihrer Einbildung und gequält in ihrem Gewissen? Sie zauderte, hin- und hergerissen in der Frage, was sie sich wünschte. Wenn sie wahrhaft Macht besaß und ihre Sinne wahrhaft über die Stadt ausgestreckt hatte, dann konnte sie Florilinde finden. Aber wenn sie das tat, … würde sie ihren Pakt mit der natürlichen Ordnung verletzen und … Sie wusste nicht, was sie dann werden würde.
    Verflucht sollten sie sein, dass sie sie gestört hatten! Verflucht auch, weil sie ihr eine Gelegenheit gegeben hatten nachzudenken.
    »Du bist ganz nass, Mama«, beklagte sich Amerdale, eine Wange an ihr feuchtes Nachthemd gelegt.
    »Ich weiß. Diese dummen Frauen haben mich halb ertränkt.«
    »Ich will nach Hause. Ich will zu Papa.«
    Telmaine zog ihr sanft die Faust vom Mund. »Tu das nicht, Amy. Das ist etwas für Babys. Wir werden Papa nach dem Frühstück besuchen.« Gewiss würde Balthasar bis dahin von irgendjemandem etwas gehört haben, selbst wenn dieser Jemand Frau Floria Weiße Hand war. Gib sie mir zurück, flüsterte sie zu dem einzigen Gott, gib sie mir zurück, und in meiner Welt, in deiner Welt wird wieder Ordnung herrschen. Meine Magie wird nach wie vor innerhalb meiner Haut liegen, und ich werde nicht länger an das Gefühl – an all die Gefühle – von Ishmaels Lippen auf meinen denken.
    Und wenn du es nicht tust …
    Ishmael
    Der erste Anschlag auf Ishmaels Leben erfolgte kurz nach der Sonnenuntergangsglocke. Die Nachtschicht der Wachen ging lärmend durch den Zellenblock, hämmerte gegen Gitterstäbe, bearbeitete Füße oder Köpfe von Schlafenden mit Knüppeln und brüllte die Gefangenen an, sich zur Inspektion aufzustellen. Die Art, wie sie mit den anderen Häftlingen umgingen, ließ Ishmael ahnen, was er zu erwarten hatte. Das Gesicht ausdruckslos, die Hände schlaff herunterhängend und die Schultern nach Gefangenenmanier gebeugt, ertrug er ihren entblößenden Peilruf und ihre abscheulichen

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