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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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Entsprechend ließ es sich einfach bequemer tragen. In wohlerzogener Gesellschaft wäre es selbst ohne die schwere Spitze ihrer Unterkleider ausreichend gewesen, um allem Anstand zu genügen und ihren Ruf zu wahren.
    Also , dachte Prinzessin Telmaine Stott Hearne und ging lächelnd – für sich selbst, nicht für irgendjemanden, der sie beobachten mochte – die Treppen hinunter. Obwohl dieses Leben nicht für immer war und sein konnte, genoss sie ihre Sommer, froh darüber, dass ihr Vater Balthasar dieses Versprechen abgenommen hatte und sie den Sommer bei ihrer Familie verbringen konnte.
    Ihr Vater hatte lange gebraucht, um sich eine Meinung zu Balthasars Antrag zu bilden. Balthasar war weder ein Herzog noch ein Diener, weder ein Musiker noch ein Magier, sondern ein junger Arzt in der Ausbildung, und gehörte einer alten, wenn auch verarmten und exzentrischen Familie an, die sogar entfernt mit der erzherzoglichen Familie selbst verwandt war. Und in seiner Familie stellte er das weiße Schaf dar. Seine Schwester hatte sich nicht nur als Ärztin ausbilden lassen wie er, sondern dazu noch einen Ruf als Magierin erworben. Sein älterer Bruder war vor vielen Jahren verschwunden; die bessere Gesellschaft hatte ihn größtenteils vergessen, und Balthasar sprach nie von ihm, wenn er auch an ihn dachte. Daher wusste Telmaine mehr über Lysander Hearne, als sie es je gewollt hatte. Balthasars wesentliche Makel in den Augen der feinen Gesellschaft waren seine Beziehung zu der Frau hinter der Papierwand in seinem Haus, Floria Weiße Hand, Meisterspionin und Auftragsmörderin in Diensten des Prinzen der Lichtgeborenen, sowie sein Engagement in jenem Konzil, das in strittigen Angelegenheiten zwischen den Völkern der Nachtgeborenen und der Lichtgeborenen vermittelte. Die Gesellschaft hätte es vorgezogen, wenn die Lichtgeborenen mit ihren gewalttätigen Angewohnheiten, schockierenden Sitten und ausgebildeten Magiern gar nicht existierten. Trotz all seiner persönlichen Tugenden war Balthasar gewiss nicht der sichere aristokratische Ehemann, den ihre Familie für ihre Tochter wollte.
    Ihre Mutter und ihr Bruder erhoben Einspruch, redeten ihr zu und versuchten, sie zu ködern. Doch es erwies sich als erstaunlich einfach, ihnen zu widerstehen, denn solange sie selbst nicht sagte: »Ich will«, konnten sie sie nicht verheiraten. Natürlich wusste sie genau, wie ehrlich der Wunsch ihrer Mutter war, dass sie sowohl glücklich als auch gut verheiratet wurde. Ihr Bruder dagegen machte sich über ihr Glück kaum Gedanken; sie war eine Frau und ihr Glück ebenso unwichtig wie sein eigenes. Ihn quälte die eigene Unzulänglichkeit als Herrscher und Erbe, und deshalb war er verzweifelt darauf bedacht, in Bezug auf seinen Umgang, seine Freunde, sein Benehmen alles so zu machen, wie es sich gehörte. Er tat ihr leid, aber sie würde sich von ihm nicht in irgendeine Falle locken lassen.
    Als ihr einundzwanzigster Geburtstag nahte, war sie immer noch unverheiratet gewesen. Sie sah ihre Freundinnen aufblühen, selbst diejenigen, deren Ehen Kompromisse waren, Kapitulationen oder … Fehler. Dank ihrer Fähigkeit blieb ihr die Wahrheit in keinem Fall verborgen. Je mehr Zeit verstrich, um so fester war sie entschlossen, dass ihre Ehe nichts von alledem sein würde. Im dritten Jahr nach seinem Antrag stimmte ihr Vater plötzlich der Verbindung zu, und jetzt blühte sie auf und entdeckte, dass die Ehe weit komplexer und befriedigender war, als die Romane ahnen ließen. Einen Monat nach ihrer Hochzeit fand sein Sekretär ihren Vater tot in seinem Arbeitszimmer. Ein Schlaganfall hatte ihn getötet; das Aneurysma, die Schwachstelle in einer Ader des Gehirns, war von den Ärzten bereits vorher diagnostiziert worden. Ihr Vater hatte gewusst, dass er jederzeit mit dem Ende rechnen musste; sein Segen war sein letztes Geschenk an sie gewesen.
    Sie schwebte die Stufen hinunter und schwelgte in der Vertrautheit der Klänge des Orchesters, der vielen Stimmen, die sich mischten, tauchte ein in diese Atmosphäre, die ihr ganzes Leben lang Vorfreude, Erregung und Liebelei bedeutet hatte. Sie genoss das alles umso mehr, da sie sich keiner Versuche mehr erwehren musste, verheiratet zu werden, und da sie sich als Frau eines in ihrer Gesellschaftsschicht unbedeutenden Mannes nicht an den politischen Intrigen der großen Familien beteiligen musste. Sie hatte es nicht nötig, darüber zu spekulieren, wie weit Ferdenzil Mycenes territoriale Ansprüche über die

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