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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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Scallon-Inseln hinausreichen mochten, oder darüber, dass der Herzog von Zegravia ebenfalls Pläne für die Inseln hatte, aber an deren Durchsetzung gehindert wurde. Sie brauchte nicht auf das zu hören, was man sich hinter vorgehaltener Hand über den jüngeren Halbbruder und Meisterspion des Erzherzogs, Vladimer, zuflüsterte, und darüber, mit wem dessen Nachforschungen sich im Augenblick wohl beschäftigen mochten. Sie konnte es sich einfach gut gehen lassen.
    Eine plötzliche Kaskade süßer, metallischer Klänge schreckte sie auf. Mit ihrem Ultraschall überstrich sie den Automaten, der in der Mitte des großen Saals stand. So sehr die Nachtgeborenen die Magie verabscheuten, so entschieden hatten sie sich ersatzweise der Technik verschrieben. An den herzöglichen Schulen erlernten die Jungen aus den aristokratischen Familien Mathematik, Mechanik und Maschinenbau, und die Klügsten von ihnen setzten ihre Studien an der Universität fort. In den gesuchtesten Salons wurden die jüngsten Entwicklungen auf diesem Gebiet diskutiert, und fortschrittliche Mädchenschulen und Erzieherinnen traten dafür ein, dass die Frauen ebenfalls das Recht haben sollten, sich mit den Wunderwerken der Technik zu beschäftigen. Mechanische Kunstwerke waren stark in Mode, sich bewegende Skulpturen in künstlerischer Anordnung, die den Geist mit der Komplexität und Feinheit ihrer Maschinerie herausforderten und Gehör- sowie Ultraschallsinn mit ihren Tönen erfreuten. Telmaine persönlich fand diese Kunstwerke langweilig; sie hörte lieber echten Musikern zu und fand es uninteressant, einen solchen Automaten eingehend zu studieren, um würdigen zu können, wie sauber die winzigen Zahnräder ineinandergriffen.
    In all dem Rauschen von Interferenzen und kleinen kräuselnden Bewegungen des Musikgerätes bemerkte sie den Mann, der halb hinter dem Automaten stand, nicht. Als er ihre Sondierung spürte, trat er ganz hinter dem Automaten hervor und ließ seine Peilung heftiger über sie hinwegstreichen, als es die Höflichkeit gestattete. Sie spürte, wie ihre Haut bei dem Gefühl, abgetastet zu werden, aufglühte, und hoffte, dass niemand aus ihrer Familie in der Nähe war. Seit ihrer Hochzeit mochten sie sich nicht darauf verlassen, dass sie sich immer ihres Ehestandes bewusst war und andere in geziemender Weise daran erinnerte; sie würden sich jetzt verpflichtet fühlen, ein Theater zu machen, das für sie peinlicher sein würde, als es dieser Flegel wert war.
    Der Flegel war kein hochgewachsener Mann und machte trotz seiner gut geschneiderten, einfachen Anzugjacke und seinen breiten Schultern und dem langen Rumpf nur wenig Eindruck. Auch das Hemd und die Hosen, die er trug, waren schon fast herausfordernd einfach. Er war nicht jung und das Leben nicht sehr freundlich zu ihm gewesen. Von einem seiner Mundwinkel bis zum Kinn verliefen zwei Narben parallel, echte, unschöne Narben, nicht die Schmisse von Duellanten, die manche junge Männer zur Schau trugen. Die tiefere der beiden Narben gab seinem Mund einen etwas schrägen Anstrich. Die Spitze seiner Nase zeigte nach oben, die großen Nasenlöcher zuckten leicht, während sie auf ihn zuging. Sie presste die Lippen zusammen, denn sie kannte diese Geste, mit der man die Hausiererinnen in der Halbwelt bedachte; sie stellte eine vulgäre, erniedrigende Beleidigung für eine tugendhafte Frau dar.
    Telmaine blieb vor ihm stehen. »Ihre Sondierung, Herr, bedarf der Dämpfung.«
    Der Vorwurf überraschte ihn, und er neigte den Kopf. Mit tiefer, sanfter und höflicher Stimme erwiderte er: »Es tut mir leid, meine Dame. Ich … ich habe mich zu sehr an rauere und gefährlichere Umgebungen gewöhnt.«
    Es war eine zivilisiertere Antwort, als sie erwartet hatte. Seiner Sprache nach zu urteilen, kam er von der Grenze, war aber viel gereist. »Darf ich um Ihren Namen bitten, Herr?«
    »Damit Sie Ihren Mann auf mich loslassen können?«, erwiderte er trocken und fügte dann in versöhnlicherem Ton hinzu: »Ich bin Baron Strumheller. Ishmael di Studier.«
    Ihr blieb kurz die Luft weg; er war nicht nur irgendeiner der eindrucksvollen Barone aus dem Grenzland, die die Ränder der zivilisierten Welt gegen die Schattengeborenen behaupteten, sondern der berüchtigste von ihnen allen, der gefeierte Schattenjäger. Ishmael di Studier hatte sich einen Namen gemacht – und, so vermutete sie, sich diese Narben eingehandelt –, indem er Ungeheuer zur Strecke brachte. Erst in jüngster Zeit hatte man ihn in

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