Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
Gastspiels in seinem Leben hatte ihr Abschied doch eine tiefe Leere in seinem Herzen hinterlassen. Jetzt wartete er auf die Geräusche einer vorfahrenden Kutsche und das aufgeregte Geplapper von zwei kleinen Mädchen. Wenn er es nicht bald hören würde, dürfte es damit in dieser Nacht nichts mehr werden. Telmaine würde so kurz vor dem Läuten der Sonnenaufgangsglocke nicht mehr mit den Kindern unterwegs sein.
Als seine Glocke ging, bewegte er sich in Richtung Tür, bevor er begriff, dass es nicht Telmaine sein konnte, denn sie hatte Schlüssel. Flüchtig fühlte er sich versucht, nicht an die Tür zu gehen, legte dann aber sorgfältig seine Papiere beiseite und lief hinunter. Kaum hatte er die Tür entriegelt, wurde der Knauf unter seiner Hand gedreht und die Tür mit der Kraft eines Mannes aufgeworfen. Die Wucht des Stoßes schleuderte Balthasar gegen den Tisch im Flur. Das darauf stehende Zierstück streifte im Sturz sein Bein und zerschellte neben seinem Fuß. Inzwischen standen zwei Männer im Flur, und der größere der beiden drückte ihn gegen die Wand. »Wo sind die Bälger?«
Balthasar sondierte und gewann den unscharfen Eindruck eines ihm unbekannten Mannes mit Stiernacken, breitem Gesicht und beschädigten Ohren, bevor eine Faust ihn im Unterleib traf und er sich zusammenkrümmte. »Das brauchen wir nicht«, befahl sein Angreifer.
Er hing an den Händen des Mannes, würgte und war wie gelähmt von diesem Gewaltausbruch, der ihn ohne jede Warnung oder Drohung überrascht hatte.
Der zweite Mann ergriff das Wort. Sein vorgetäuschter Flussmarkakzent konnte seine ausgesprochen aristokratische Sprache nicht ganz verbergen – die Sprache, die Balthasar so gern von seiner Frau hörte. »Schaff ihn hinein, damit wir nicht von der Straße aus beobachtet werden.«
Balthasar wollte Luft holen und um Hilfe rufen, brachte aber nur den Ansatz eines Schreis zustande, bevor die schwere Tür zuschlug. Er hörte das Knirschen zerbrochenen Porzellans unter schweren Tritten.
»Nun, Dr. Balthasar Hearne, Sie können es sich leicht machen, oder Sie können es sich schwer machen. Wo sind Tercelle Amberleys Kinder?«
Balthasar richtete sich auf und kämpfte dabei mehr gegen seine Angst an als gegen den Schmerz, denn er wusste, dass sein Widerstand eine Einladung zu weiterer Gewalt sein würde. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, sagte er mit zitternder Stimme.
Er hörte das Knarzen des dicken Stoffs einer Jacke, und unwillkürlich sondierte er den Mann, der ihn festhielt und gerade wieder mit der Faust ausholte. Doch der andere Mann hielt dem Schläger die Hand fest. »Noch nicht«, sagte der Aristokrat. »Jetzt noch nicht. Wir durchsuchen das Haus und finden vielleicht, was wir suchen, oder zumindest doch etwas, um dem guten Doktor klarzumachen, dass er uns nicht belügen kann. Zieh ihm etwas über den Kopf.«
Ihm wurde eine Haube über den Kopf gestülpt, die sein Sonar dämpfte und ihm die Orientierung nahm. Sie zerrten ihn vom Flur in den Salon und weiter in die Küche und stießen ihn mit dem Gesicht voran gegen die Wand, während sie Schränke, Schubladen und Abstellkammern untersuchten, alles, wo er vielleicht ein neugeborenes Kind hätte verstecken können. Sie fanden die Wiege, die er wieder zurück in den Schrank unter den Treppenstufen gestellt und vorsichtshalber mit einem ganzen Kehrblech voller Staub beschmutzt hatte – genug, um Telmaine zu täuschen, von diesen beiden ganz zu schweigen. Bei ihrer Suche gingen sie grob vor, zerstörten aber nichts mutwillig, und das gab ihm einen Funken Hoffnung, dass sie ihn nicht schlechter behandeln würden als seinen Hausstand. Vielleicht ließen sie sich doch überzeugen, dass er nichts wusste und die Informationen, die sie hergeführt hatten, falsch sein könnten.
Die Suche endete, so wie er es gehofft hatte, in seinem Arbeitszimmer. Von der anderen Seite der Papierwand drang kein Laut herüber, aber Floria mit ihren scharfen Ohren hatte diesen Überfall auf sein Haus mit Sicherheit schon bemerkt. Er hörte, wie die Schritte des Aristokraten sich der Papierwand näherten und er dort verweilte, als untersuche er die Wand, bevor er zu Balthasar zurückkehrte. »Wie ich bereits sagte, kann es für Sie leicht werden oder schwer.«
»Ich habe keine Ahnung, wer Sie …«, sagte Balthasar.
»Sehr schwer«, sagte der Aristokrat.
Der erste Mann versetzte Balthasar einen Fausthieb in den Rücken direkt über den Nieren, sodass er auf Hände und Knie fiel. Schmerz
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