Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren
Unartigkeit betrifft.«
»Vollkommen … quitt. Baron, haben Sie auf diesem Weg hier vor ein paar Minuten eine Frau gesehen?«
»Eine bestimmte Frau?«
»Ja, sie kam aus dem Irrgarten, ist zwei jungen Mädchen begegnet und ins Haus gegangen, denke ich, obwohl ich mir nicht ganz sicher bin. Ich habe sie nicht deutlich sondiert und würde sehr gern wissen, wer sie war.«
»Ich habe nichts bemerkt «, sagte Ishmael. »Sie sind wegen irgendetwas in Sorge.«
»Ist es möglich …«, sagte Telmaine und hielt dann inne, entsetzt über sich selbst. Keine Frau der besseren Gesellschaft sollte danach fragen, ob irgendetwas durch Magie bewirkt werden könne oder nicht; keine Frau der Gesellschaft sollte das geringste Interesse an Magie haben. Sie merkte, dass sie an den Fingerspitzen ihrer Handschuhe zupfte, außerstande zu entscheiden, ob es nun schlimmer war, wenn er ihr sagte, sie müsse fantasieren oder wenn er sie ernst nahm. »Schon gut. Es ist … es ist nichts. Es muss schon kurz vorm Läuten der Sonnenaufgangsglocke sein.« Sie setzte sich in Bewegung, aber als sie merkte, dass er keine Anstalten machte, sie zu begleiten, blieb sie stehen.
Mit weichem Brummen und etwas verlegen sagte er: »Sie sollten zuerst hineingehen; ich werde kommen, sobald die Glocke läutet. Es gibt immer böse Zungen.«
Sie wandte sich zu ihm um. »Haben Sie gehört, was sie gesagt hat?«
»Prinzessin Xephilia? Nein, nicht genau, aber ihre Einstellung ist mir wohlbekannt.«
»Ich war wütend auf sie«, sagte Telmaine.
Eine Sondierung strich ihr sacht übers Gesicht. »Warum?«, fragte er neugierig und mit gutem Grund, da sie sich viel vehementer geäußert hatte, als sie selbst hätte erklären können. Sie würde ihm nicht sagen, dass Prinzessin Xephilia es vorziehen würde, wenn er auf unbekannte, aber wahrscheinlich furchtbare Weise den Tod fände, statt in der Gesellschaft als Magier zu leben. Sie würde nicht anfangen, darüber nachzudenken, was Prinzessin Xephilia wohl als ein für Telmaine angemessenes Geschick ansehen würde.
»Sie brauchen sich wegen mir nicht aus der Fassung bringen zu lassen«, sagte er. »Ich habe mir im Lauf der Jahre ein dickes Fell zugelegt. Es bedarf dieser Tage schon mehr als lediglich einiger Worte, um mein Blut in Wallung zu bringen.« Mit einer Stimme, die sein Lächeln verriet, fügte er hinzu: »Das ärgert sie am meisten.«
»Dann ärgern Sie sie ruhig weiter«, sagte sie, so unbeschwert sie konnte.
»Wie Sie befehlen, gnädige Frau. Da gerade Gelegenheit dazu ist: Liege ich richtig in der Annahme, dass Sie mit Ihren Töchtern mit dem Zug zurück nach Minhorne fahren? Akzeptieren Sie mich als Begleitung? Ich würde so gleichzeitig das Vergnügen haben, mit Ihnen zu reisen und meiner Pflicht genügen, mich Ihrem Mann vorzustellen.«
Ihr gesunder Menschenverstand lag im Widerstreit mit ihrer Neigung zur Auflehnung, ihre Vorsicht stand gegen ihre Impulsivität. Sie hatte sich bisher sehr zurückgehalten, wenn es um bekannte Magier ging, und ihr eigenes Geheimnis hinter gesellschaftlichen Vorurteilen versteckt. Sie konnte ohne Weiteres ablehnen, mit ihm zu reisen, allein wegen seines Rufes. Aber sie hatte mit ihm getanzt, und er würde ihren Mann aufsuchen müssen. Und sie wollte sich nicht von den Prinzessin Xephilias dieser Welt Vorschriften machen lassen.
Als die Glocke zum Sonnenaufgang zu läuten begann, schreckte sie aus ihren Gedanken auf, und die Antwort sprudelte aus ihr hervor, bevor sie ihre Meinung noch einmal ändern konnte. »Natürlich tue ich das. Es wäre ein in hohem Maße vernünftiges Arrangement.«
Ihrer Sondierung offenbarte sich ein leicht ironischer Zug seines Lächelns. »Es wird mir ein Vergnügen sein, gnädige Frau. Und jetzt, bitte, müssen Sie hineingehen.«
Sie legte ihm eine Hand auf den Arm. »Warten Sie nicht mehr zu lange.«
»Ich habe den Sonnenaufgang in meinen Knochen, verehrte Telmaine. In der Wildnis gibt es keine warnende Glocke.«
3
Balthasar
Während Floria auf der anderen Seite der Papierwand ihr morgendliches Training absolvierte, las Balthasar die Verhandlungen der letzten Sitzung des Interkalarischen Konzils und versuchte, nicht darüber einzuschlafen. Die Müdigkeit verdankte er den Nachwirkungen von Florias Stimulans und den zwei Tagen, die er für die von Tercelle im Stich gelassenen Zwillinge gesorgt hatte. Ob sie nun Sehvermögen besaßen oder nicht, sie waren von der typischen Hilflosigkeit aller Neugeborenen. Trotz ihres nur kurzen
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