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Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren

Titel: Nachtgeboren - Sinclair, A: Nachtgeboren Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alison Sinclair
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jungen Mädchen auszuweichen, von denen eine Anarys war. Sie glaubte, die Frau zöge mit der Hand kräftig an Anarys’ verrutschtem Schleier, doch in diesem Augenblick verstummte die Sondierung.
    Anarys stieß einen kurzen Schrei aus. Telmaine sandte sofort einen Ultraschallruf aus, der ihr die Mädchen zeigte, die verwirrt auf dem Weg standen. Von der Frau nahm sie an der Grenze ihres Ortungsbereichs nur noch eine vage Bewegung wahr, aber sonst nichts.
    Telmaine eilte auf die Mädchen zu. »Tellie«, rief Anarys schuldbewusst und zog sich den Schleier wieder über den Kopf. »Wir wollten nur in den Garten gehen – wir kommen zu dieser Stunde so selten hinein.«
    »Anarys«, sagte sie. »Weißt du, wer die Frau war, die gerade an euch vorbeigekommen ist?«
    »Welche Frau?«
    »Was meinst du mit welche Frau – sie hat an deinem Schleier gezogen.«
    »Das war der Wind, der an meinem Schleier gezerrt hat!«, rief Anarys.
    »Es war gerade eine Frau auf diesem Weg hier.«
    »Uns ist keine Frau begegnet«, sagte Anarys, und ihre sechzehn Jahre alte Freundin nickte zustimmend.
    Telmaine fand keine Möglichkeit, ihre langen Handschuhe unauffällig abzulegen, damit sie die Gedanken ihrer Schwester lesen und deren Lüge aufdecken konnte – oder was immer auch hinter dieser Verleugnung stecken mochte. Oder war sie selbst, Telmaine, etwa getäuscht worden? Sie riss sich zusammen und merkte, dass das Gefühl der Kälte nachgelassen hatte; sie konnte jetzt zumindest die Mädchen hineinschicken, sodass sie sicher waren, und Anarys vielleicht später noch einmal fragen. »Ihr solltet reingehen. Die Glocke zum Sonnenaufgang wird schon bald läuten.«
    »Nein, das wird sie nicht«, sagte Anarys, die sich durch die Anwesenheit ihrer Freundin zu solcher Impertinenz ermutigt fühlte. »Die Glocke im Haus läutet eine halbe Stunde vorher, und das ist erst ein paar Minuten her.«
    »Anarys«, sagte Telmaine, »du solltest zu dieser Stunde nicht mehr draußen im Garten sein. Bitte, geh hinein.«
    »Warum bist du hier draußen?«, fragte Anarys, aber der Mut hatte sie schon größtenteils verlassen.
    »Das geht dich nichts an«, sagte Telmaine, und in ihren Ärger mischte sich eine Furcht, die sie nicht verstand. »Bitte geh hinein, sonst sage ich es Mama – euren beiden Müttern.«
    Die beiden Mädchen machten auf der Stelle kehrt – Anarys stolzierte davon, und Jaquecynth trottete neben ihr her. »Sie trifft einen Liebhaber«, hörte Telmaine Jaquecynth erklären, laut genug, dass andere es hören konnten. Telmaine presste sich die Hand vor den Mund, um ihr Kichern – oder war es ein Seufzen? – zu unterdrücken. Konnten zwei aufgeweckte junge Mädchen dazu gebracht werden, eine solche Begegnung zu vergessen? Oder logen sie, und wenn ja, warum? Telmaine hatte keinerlei Wortwechsel mitbekommen, kein Murmeln oder Flüstern, kein Versprechen und keine Drohung. Wer war der Mann, der geklungen hatte wie Balthasar, sowohl was die Stimmlage als auch die Aussprache betraf, und der so wenig Ähnlichkeit mit ihrem Mann hatte, was seine Art und seine Äußerungen anbelangte? Warum hatte die Frau mit ihrer sanften Stimme und ihrer stillen Art sowohl den Mann als auch sie selbst so in Schrecken versetzt?
    Kaum hatte sich ihr Puls wieder verlangsamt, als sie jemanden hinter sich spürte. Sie wirbelte herum und stieß unwillkürlich einen Ultraschallruf aus, unter dem sich klar und deutlich … Ishmael di Studier abzeichnete.
    In tödlicher Verlegenheit, die gleiche Ungezogenheit begangen zu haben, die sie ihm bei ihrer ersten Begegnung vorgeworfen hatte, stieß sie einen Laut der Hilflosigkeit aus und presste sich die Finger an die Lippen.
    »Es ist schon recht, gnädige Frau«, sagte er mit einem Lächeln. »Es tut mir leid, Sie erschreckt zu haben.«
    Sie ließ die Hand langsam sinken und sondierte zart und vorsichtig sein breites Gesicht und sein schiefes Lächeln. »Oh je«, sagte sie.
    Sein Lächeln wurde breiter. Ihr schoss das Blut ins Gesicht, teils weil sie am liebsten im Erdboden versunken wäre, teils aus neuerlichem Zorn. Er hatte kein Recht, sie auf solche Weise in Verlegenheit zu bringen. »Sie haben mich erschreckt!«
    »Dann sollte ich mich ja glücklich schätzen, dass Sie nicht bewaffnet waren«, brummte er.
    Einen Augenblick stand sie still da, ihr Atem ging schnell, und sie spürte die belebende Wirkung der kühlen Luft. Mit leiserer Stimme sagte sie: »Es tut mir leid.«
    »Damit sind wir also auch quitt, was diese besondere

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