Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Bilder bereits angekommen waren.
Sie stellte sich ans Fenster und schaute zum Dom hinüber, der seit zwei Jahren eingerüstet war, weil man immer neue Schäden entdeckte. Laura konnte nur ein paar Figuren und Bogen sehen, ein Stück der schwarz-weißen Mauern und die Spiegelung des Turms in den Fenstern des gegenüberliegenden Hauses. In den Fenstern weiter rechts spiegelte sich blauer Himmel, es sah aus, als befände sich im Innern des Hauses eine geheimnisvolle zweite Welt.
«Die Bilder sind da!»
Laura löste ihren Blick nicht von den Spiegelungen, sagte nur: «Könnten Sie die Bilder ausdrucken?»
«Wer ist es denn?»
«Ein junger Mann, der mir aufgefallen ist. Er war an dem Tag, als Benjamin Sutton starb, in dem Münchner Hotel. Ich bin sicher, dass er Italiener ist und dass er verdächtig wirkt.»
«Weil er Italiener ist?» Tommasini blickte mit gerunzelter Stirn vom Bildschirm auf.
«Natürlich nicht!»
«Weil er eine große Sonnenbrille trägt?»
«Nein, er sah nur irgendwie verdächtig aus …»
«… wie ein richtiger Mafioso. Da muss ich Ihnen recht geben, Commissaria. Er sieht aus wie ein Mafioso, aber einer von der gehobeneren Art. Jedenfalls bildet er sich ein, dass er der gehobeneren Art angehört. Aber wie fast alle dieser Art übertreibt er. Eine Spur zu elegant … so, dass es schon fast wieder unseriös wirkt. Ein Handlanger, wenn Sie mich fragen.»
Laura stellte sich neben Tommasini und betrachtete das Foto auf dem Bildschirm.
«Haben Sie sich mit der Mafia beschäftigt, Tommasini? Sie scheinen sich verdammt gut auszukennen.»
«Es ist so was wie ein Hobby. Wir hatten hier bisher nicht viel zu tun mit der Mafia … in der Toskana gab es zum Glück nie eine, während im Süden jede Provinz ihre eigene hat. Ich finde es wirklich spannend, früher wollte ich unbedingt zur Anti-Mafia-Abteilung der Polizei. Dann habe ich geheiratet, die Kinder kamen, und plötzlich war das alles zu gefährlich. Basta. Das war’s dann.»
«Und jetzt kommt die Mafia zu Ihnen, nicht wahr?»
«Sagen Sie’s nur nicht meiner Frau!»
«Könnten Sie diese Fotos vervielfältigen und an Ihre Kollegen verteilen? Es ist ja möglich, dass einer der Schuldner diesen Mann erkennt. Jedenfalls sind die Fotos besser als das Phantombild der Pisellis.»
«Natürlich mache ich das. Aber ich glaube nicht, dass es etwas bringt. Die Leute haben Angst, Signora.»
«Aber die Pisellis werden ihn erkennen.»
«Falls sie sich dann noch trauen, ihn zu erkennen.»
«Wie meinen Sie das?»
«Wie ich es gesagt habe. Wir hinken der ganzen Geschichte hinterher. Ich werde aber auf alle Fälle mit D’Annunzio das Archiv durchforsten. Vielleicht hat er ja schon mal gesessen.»
«Haben die Pisellis Polizeischutz?»
«Natürlich. Da stehen zwei Carabinieri vor der Tür.» Er warf Laura einen Blick zu und grinste. «Den Hund haben sie in der Scheune eingesperrt.»
«Und was mache ich jetzt?», murmelte Laura.
«Vielleicht sollten Sie sich ein bisschen ausruhen, Commissaria, Sie sehen müde aus. Ich verspreche Ihnen, dass ich Sie sofort anrufe, falls etwas passiert.»
LAURA STRICH DURCH Guerrinis Wohnung wie eine Katze, die ein neues Gebiet erforscht. An seiner Bücherwand entlang zum Beispiel, auf der Suche nach der Sammlung von Liebesgedichten. Aber es gab keinen solchen Band. Nur einen mit Gedichten aus dem alten Rom, und darin entdeckte sie auch das Liebesgedicht von Petronius, rot unterstrichen. Außerdem fand sie einen Stapel von Tagebüchern, schlug nur das oberste kurz auf und legte es sofort wieder weg. Nein, niemals würde sie seine Tagebücher lesen.
Sie setzte sich aufs Sofa, stand wieder auf, ging auf die Terrasse, zurück in die Küche, goss sich eine Tasse Tee auf und versuchte die Zeitung zu lesen, die sie auf dem Rückweg von der Questura gekauft hatte. Es ging nicht. Sie fand keine Ruhe. Kurz vor eins. Eigentlich hatte sie Hunger, aber keinen Appetit.
Ins Krankenhaus wollte sie erst wieder am späteren Nachmittag. Eigentlich sollte sie schlafen, doch sie fühlte sich zu unruhig. Wenn sie ehrlich war, wartete sie auf den Anruf von Isabella di Tremonti. Die weißen Rosen ließen bereits ihre Köpfe hängen. Immerhin roch es nicht mehr nach Putzmittel, aber die Heizkörper waren kaum lauwarm, und Laura fröstelte. November in Siena fühlte sich nicht gut an ohne Angelo.
Als das Telefon endlich klingelte, sprang sie auf. Aber es war nicht Isabella di Tremonti, es war der alte Guerrini.
«Ich wollte dich fragen,
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