Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
ob du schon gegessen hast, Laura. Jetzt, nachdem es Angelo bessergeht, können wir auch wieder essen, vero?»
«Nein, ich habe noch nichts gegessen …»
«Dann komm rüber. Ich habe gerade Fettuccine mit frischen Trüffeln gemacht.»
«Es geht nicht, Fernando. Ich warte auf einen Anruf, der eigentlich für Angelo bestimmt ist. Es ist wichtig!»
«Ihr Polizisten seid unerträglich. Also gut, dann komme ich mit meinem Topf Fettuccine rüber zu dir. Einverstanden?»
«Einverstanden.»
«Ci vediamo fra quindici minuti.»
Vielleicht wird es wärmer, wenn er da ist, dachte Laura. Vielleicht sollte ich diese Viertelstunde bis zu seinem Eintreffen für einen Anruf bei Donatella Cipriani nutzen. Und was sagen? Dass ich in Siena bin? Dass mindestens eine andere Frau Benjamin Sutton ebenfalls in Siena kennengelernt hat? Dass ich höchstens zwanzig Prozent ihrer Geschichte glaube? Dass Suttons Frau Selbstmord begangen hat? All das? Und was bewirke ich damit? Dass sie noch mehr Angst bekommt, dass sie sich noch mehr gedemütigt fühlt, dass sie vielleicht ebenfalls Selbstmordpläne entwickelt?
Wieso mache ich mir eigentlich so viele Gedanken über Donatella? Warum identifiziere ich mich mit ihr? Das ist es doch, was ich gerade mache, oder?
Sie brauchte Luft, stieß die Tür zur Dachterrasse auf und lehnte sich draußen mit verschränkten Armen an die Wand. Von irgendwoher kam das Knattern eines Hubschraubers, leise erst, dann immer lauter, und endlich donnerte er knapp über die Dächer der Stadt. Eine dunkle, fette Libelle. Laura hielt sich die Ohren zu.
Und wenn Donatella Sutton umgebracht hatte, weil sie die Kränkung nicht ertrug? Wenn sie sich diese ganze komplizierte Geschichte ausgedacht hatte, um … um was? Den Verdacht auf andere zu lenken? Manche Menschen in verzweifelten Situationen erfanden Geschichten und glaubten dann selbst fest daran. Die Geschichte wurde zu einer wahnhaften Tatsache. Selbst Zeugenaussagen waren nicht selten wahnhafte Tatsachen, ähnelten Guerrinis fliegendem Hund, auf den er immer wieder zu sprechen kam.
Alles keine Antwort darauf, warum ich mich mit Donatella stärker identifiziere, als ich sollte. Weil ich Frauen emotional näher bin als Männern?
Es klingelte an der Haustür. Wieder keine Antwort. Lauras Nacken schmerzte, und sie hatte noch immer keinen Appetit.
«Ich habe einen Schlüssel, aber ich wollte nicht einfach so einbrechen, Laura. Come stai?» Fernando Guerrini rang nach Luft und fluchte auf die vielen Stockwerke. «Wie geht es dir? Ich habe Wein mitgebracht und Macedonia di frutta als Dessert. Komm, wir decken den Tisch, sonst werden die Fettuccine kalt. Lass uns gleich in der Küche bleiben. Ist es dir recht?»
«Mir ist alles recht.»
«Ah, das klingt nicht gut. Wir haben schließlich etwas zu feiern: Angelo ist übern Berg!» Fernando entkorkte den Rotwein und füllte zwei Gläser.
«Jetzt stoßen wir darauf an, bene?»
Laura nickte und hob das Glas. Er stieß seines so kräftig gegen ihres, dass ein bisschen Wein überschwappte.
«Auf Angelo!»
«Auf Angelo!»
Fernando verteilte Fettuccine auf den Tellern. «Ich hab die Trüffel mit Tonino gefunden. Der alte Hund hat noch immer eine Nase wie ein junger. Dabei kann er sich kaum noch auf den Beinen halten, fast alle Zähne sind ihm ausgefallen. Ich weiß nicht, was ich machen soll, wenn er nicht mehr da ist.» Er rollte Nudeln um seine Gabel, hielt inne.
«Warum sagst du denn nichts?»
Laura deutete auf ihren vollen Mund.
«Ah, dann lass es dir schmecken.»
«Ich würde gern mit dir und Tonino Trüffel suchen gehen, Fernando.»
«Dann mach’s doch! Aber ihr müsst ja immer arbeiten und sogar im Urlaub noch alte Geschichten ausgraben!»
«Habt ihr die Sache noch immer nicht geklärt? Angelo und du?»
«Natürlich nicht! Du kennst Angelo nur von einer Seite, was? Er ist wegen meiner Keramikexporte nach Amerika und meiner angeblichen Verbindung zur Camorra so sauer auf mich, dass wir uns seit eurem Urlaub erst ein Mal gesehen haben. Dabei ist da gar nichts … ich schwöre es! Die Geschäfte meiner Partner gehen mich nichts an. Ich exportiere ausschließlich kopierte Madonnen von della Robbia und weder Raubgrabungen noch sonst was! Cazzo! Scusami!»
«Ich weiß, dass Angelo sehr wütend war, aber ich dachte, dass ihr das inzwischen geklärt habt.»
«Nichts haben wir geklärt, überhaupt nichts! Er will ja nicht zuhören!»
«Lass ihm doch einfach Zeit.»
«Na, jetzt bleibt mir ja nichts
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