Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
eingefallen waren. Mit Wahrheit und Leben hatte es wenig zu tun.
Donatella strich mit der Hand über ihren Entwurf, war nicht sicher, ob sie es schaffen würde, Ricardo an diesem Abend zu versetzen. Aber sie wusste, dass es besser wäre, mit einem ihrer Kinder eine Pizza zu essen und Padanien zum Teufel zu schicken.
Obwohl Laura sehr müde war, blieb sie in Tommasinis Büro und telefonierte mit ihrem Dezernat in München. Claudia war so voller Mitgefühl, dass Laura es kaum ertragen konnte und kurz davor war, in Tränen auszubrechen. Deshalb ließ sie sich so schnell wie möglich mit Peter Baumann verbinden, der aber auch ungewöhnlich sanft mit ihr sprach.
«Danke, danke, danke! Bitte sei sachlich, ich habe derzeit Schwierigkeiten, die Fassung zu wahren!»
«Okay. Sachlich! Eines der früheren Opfer von Sutton hat sich gemeldet. Diese Dame hat Sutton in … du wirst es nicht erraten … in Siena kennengelernt. Danach wurde sie um eine halbe Million erleichtert, aber auch sie hat Sutton nicht verdächtigt, sondern ging davon aus, dass sie beide erpresst wurden. Sie ging zur Polizei, die Polizei ermittelte gegen Sutton, daraufhin zog die Dame ihre Anzeige gegen unbekannt zurück. Ende der Geschichte. Nur das Geld war weg.»
«Klingt wie die Geschichte von Donatella Cipriani. Siena scheint ein gefährliches Pflaster für alleinstehende Frauen zu sein.»
«Du passt auf dich auf, ja?»
«Ich hatte gesagt: sachlich! Könntest du mir bitte die vergrößerten Fotos von diesem jungen Mann mailen, der mir in der Hotelhalle aufgefallen war? Ich habe so ein Gefühl, als könnte ich mit diesen Bildern hier weiterkommen.»
«Ist das der Nachfolger von Sir Benjamin?»
«Ich weiß es nicht. Vielleicht ist es sein Mörder oder jedenfalls jemand, der mit seinem Mörder in Verbindung steht.»
«Ich werde die Bilder schicken. In dieser Minute! Bist du okay?»
«Ja, ich bin okay. Morgen wird es noch besser sein. Ich danke dir, Peter.»
«Nichts zu danken. Wir alle wünschen dir und dem Commissario Glück. Wir schaukeln das hier schon, und mit dem Chef werden wir auch fertig. Mach dir keine Gedanken.»
«Ich hatte gesagt: sachlich! Ciao, Peter!» Laura legte schnell auf und konnte ihre Tränen nicht mehr zurückhalten. Tommasini, der in diesem Moment wieder sein Büro betrat, reichte ihr ein Papiertaschentuch.
«Ich sollte eigentlich meinen Vater anrufen», schluchzte Laura, «aber ich kann es nicht. Wenn ich seine Stimme höre, dann werde ich überhaupt nicht mehr aufhören zu weinen …»
«Das kann ich verstehen, Signora Laura. Ich muss auch immer weinen, wenn andere in einer schwierigen Situation sehr nett zu mir sind. Ich halte das gar nicht aus!»
«Bitte, Sergente, hören Sie sofort auf, nett zu mir zu sein!»
«Scusi, Signora Laura.»
«Das hilft auch nicht. Sagen Sie jetzt am besten gar nichts, überlegen wir lieber, wie ich hier rauskomme, ohne als weinende Commissaria in die Geschichte der Questura einzugehen.»
«Wäre das so schlimm?»
«Sì, es wäre schlimm. Normalerweise weine ich nämlich nicht so leicht, und schon gar nicht, wenn ich mit ungefähr fünfzig männlichen italienischen Polizisten unter einem Dach bin!»
«So viele sind es nicht mehr. Ich hab fast alle rausgeschickt. Die arbeiten, die stehen nicht vor der Tür und warten, dass Sie mit verheulten Augen rauskommen!»
«Grazie, Tommasini! Jetzt geht es mir besser.»
Tommasini starrte sie an.
«Sind Sie immer so kompliziert, Signora?»
«Lassen Sie endlich die Signora weg und sagen Sie Laura zu mir! Außerdem bin ich nicht kompliziert. Ich hatte nur große Angst um Angelo.»
«Ich kann das nicht!»
«Was?»
«Ich kann nicht einfach Laura zu Ihnen sagen. Sie sind die Freundin meines Chefs. Zum Commissario sage ich ja auch nicht Angelo.»
«Bene, dann lassen wir es. Sind Sie immer so kompliziert, Sergente?»
Ein Lächeln tauchte in Tommasinis Augenwinkeln auf und erreichte nach erfolglosen Versuchen der Selbstbeherrschung seinen Mund.
«Eins zu null, Commissaria.»
«Fangen Sie bloß nicht wieder an, nett zu sein. Ich gehe jetzt. Falls ich irgendwas über diese Verbindungsperson rausbekomme, rufe ich Sie an.»
Laura zog ihre große Sonnenbrille aus dem Rucksack, putzte sich die Nase und wollte gerade gehen, als ihr die Bilder einfielen, die Peter Baumann vermutlich bereits geschickt hatte. Sie war wirklich nicht ganz auf der Höhe ihrer Konzentrationsfähigkeit.
Also kehrte sie um und bat Tommasini nachzusehen, ob die
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