Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
Commissario. Nur so eine Idee, weil er Geld im Mund hat. Ich meine, warum hat einer Geld im Mund?»
«Weil er den Hals nicht vollkriegt», murmelte Tommasini.
«Ich hab das nicht gesagt, Commissario. Aber so könnte es sein, nicht wahr? Warum sollte man sonst jemandem Geld ins Maul stopfen?»
«Nicht schlecht gedacht, Bellagamba.» Guerrini klopfte dem kleinen Bauern auf die Schulter. «Und jetzt versuchen wir erst mal, unsere Kollegen hierherzubekommen. Tommasini, funktioniert dieses Ortungsgerät, das du mitgenommen hast?»
«Es funktioniert, Commissario, auch wenn Sie es nicht glauben. Ich werde jetzt die Koordinaten an die Kollegen durchgeben, und dann werden sie in kürzester Zeit hier sein.»
«Ich vertraue dir, Tommasini. Aber vielleicht sollten wir gleichzeitig Lichtsignale mit deiner Stablampe senden. Dann werden wir sehen, was besser funktioniert.»
«Beh, Commissario, warum zweifeln Sie immer an der Technik? Sie könnten mein Vater sein! Der redet auch so.»
«Lassen wir das, ja? Du glaubst an die Technik und ich an die Sinne der Menschen.»
Während Tommasini beschäftigt war, nahm Guerrini den Bauern zur Seite.
«Ich habe in letzter Zeit immer mal wieder von Geldverleihern gehört, die es in der Gegend geben soll. Aber nichts Genaues, da hab ich mal ein bisschen nachgeforscht. Es ist nicht viel dabei rausgekommen. Nur ein paar Bauern und Geschäftsleute haben zugegeben, dass sie sich mit Geldverleihern eingelassen haben und unglaublich hohe Zinsen zahlen. Haben Sie auch schon so was gehört, Bellagamba?»
Der Bauer schaukelte seinen Oberkörper langsam hin und her, eine kleine kräftige Silhouette vor Tommasinis Lampe, die Hände in den Taschen seiner Regenjacke vergraben, den Kopf zwischen die Schultern gezogen.
«Gehört, gehört», murmelte er. «Wer hat nicht davon gehört. Gibt ja keine Kredite für Leute, die nichts haben.»
Guerrini nickte. «Ja, es ist eine verdammte Schweinerei, nicht wahr!»
«Eine verdammte Schweinerei, Commissario.»
«Sie haben nicht zufällig auch …»
«Gott bewahre!» Hatte er sich bekreuzigt? Guerrini konnte es nicht genau erkennen, nur die kurze Bewegung einer Hand zur Brust.
Sie warteten. Die feuchte Kälte kroch durch ihre Kleider, über die Haut, in die Knochen. Irgendwann gab Tommasini Blinkzeichen. Fast eine halbe Stunde dauerte es, ehe die Kollegen endlich durchs Unterholz brachen wie eine Rotte Wildsauen. Commissario Guerrini gab seine Anweisungen, dann ließ er sie arbeiten. Er hatte keine Lust, stundenlang im Matsch herumzustehen. Ihm war aufgefallen, dass Polizisten in den Fernsehnachrichten immer nur herumstanden. Dort wurde ja pausenlos von irgendwelchen Morden oder Überfällen berichtet, als ob es nichts Wichtigeres auf der Welt gäbe. Und immer standen Polizisten herum. Standen und standen. Manche telefonierten, manche schauten bedeutend, andere langweilten sich sichtlich. Und stets waren es verdammt viele. Guerrini hatte sich vorgenommen, nie mehr irgendwo nutzlos herumzustehen – schon gar nicht, wenn das Fernsehen kam.
Den Rückweg zum Wagen fand Tommasini mit großer Präzision, selbst Bellagamba war beeindruckt. Kurz vor ihrem Fahrzeug sprang ein Schwein auf und raste quiekend davon.
«War das Ihres?», fragte Guerrini.
«Ja, das war meins. Ich werd’s morgen holen. Wenn ich Glück habe.»
Sie fuhren den Bauern zu seinem kleinen Hof zurück. Der Hund bellte wie verrückt, und hinter dem einzigen erleuchteten Fenster erschien kurz ein Frauenkopf.
Als Commissario Guerrini in dieser Nacht endlich die Tür zu seiner Wohnung aufschloss, blinkte sein Anrufbeantworter. Guerrini zog seine schlammbedeckten Schuhe aus und ließ sie vor der Tür stehen, dann ging er in die Küche, nahm etwas Schafskäse aus dem Kühlschrank, brach ein Stück Brot ab und schenkte sich ein Glas Rotwein ein. Obwohl es eine kühle Nacht war, trat er auf seine kleine Dachterrasse hinaus und schaute über die dunklen Dächer und Türme von Siena. Es hatte aufgehört zu regnen, und die Luft war sehr klar und frisch. Guerrini blies seinen Atem hinaus und sah der feinen Wolke nach, die sich schnell auflöste.
Er kaute langsam, trank zwischendurch einen Schluck Wein, lauschte den Geräuschen der Nacht, dem Geknatter eines Mopeds, dem Gurren einer aufgeschreckten Taube. Nur widerwillig dachte er an den Toten mit den Geldscheinen im Mund und der Schlinge um den Hals. Der Gedanke, dass es sich um einen Geldverleiher handeln könnte, lag nahe. Vielleicht zu
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