Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
schien sie das alles vergessen zu haben. Sie hat sich zu mir in die Küche gesetzt und von Rom erzählt, und dann wollte sie wissen, wie es dir so geht, und hat gesagt, dass sie Siena vermisse und so weiter und so weiter.»
«Ah.»
«Ja, ah!»
«Was hast du gemacht?»
«Was sollte ich schon machen? Ich hab ihr zugehört, dann hab ich ihr was zu essen gegeben, und wir haben Wein getrunken. Ich meine, ich konnte sie doch schlecht vor die Tür setzen. Immerhin war sie mal meine Schwiegertochter.»
«Und dann?»
«Dann ist sie gegangen. Sie wollte bei einer Freundin übernachten und morgen … nein, heute bei dir vorbeischauen.»
«Wirklich?»
«Ja, wirklich. Deshalb wollte ich dich warnen, Angelo! Ich hab so ein komisches Gefühl … vielleicht will sie dich wieder rumkriegen und zu dir zurück. Die Luft in Rom war vielleicht ein bisschen rau für sie.»
Guerrini leerte die kleine Tasse, ohne diesmal den bitteren Geschmack wahrzunehmen.
«Bist du noch da, Angelo?»
«Mhm.»
«Da fällt dir nichts mehr ein, was?»
«Nein.»
«Kannst du nicht auf Dienstreise gehen oder dir ein paar Tage freinehmen und zu Laura nach München fahren?»
«Kann ich nicht. Erstens haben wir einen Mordfall, und zweitens hatte ich gerade Urlaub.»
«Was willst du dann machen?»
«Ich werde mit Carlotta reden, was denn sonst? Schließlich sind wir nicht im Krieg miteinander.»
«Bene, bene. Dann wünsch ich dir viel Glück.»
«Wobei denn?»
«Na, bei allem eben. Ciao, ich wollte dich ja nur warnen!»
Fernando hatte aufgelegt, und Guerrini blieb nachdenklich in seiner Küche zurück, versenkte die Kaffeepackung im Mülleimer und beschloss, auf dem Weg in die Questura zu frühstücken.
Carlotta in Siena, dachte er. Es fühlte sich nicht besonders angenehm an.
«DU KANNST IN EINER HALBEN STUNDE in die Gerichtsmedizin fahren, Laura. Guten Morgen übrigens! Doktor Reiss hat angerufen. Er will dir was zeigen.» Claudia, die Dezernatssekretärin, winkte Laura zu.
«Sonst noch was?»
«Havel steht auch schon parat. Soll ich ihn anrufen?»
«Ja, bitte. Wo ist Peter?»
«Er lässt sich entschuldigen. Hat Kopfschmerzen oder so was. Er kommt etwas später.»
«Wundert mich nicht.»
«Wieso?»
«Nur so. Wir hatten gestern Abend noch schwierige Ermittlungen.»
«Na, wie sahen die denn aus? Habt ihr einen gehoben?»
«Ich nicht. Aber davon abgesehen: Würdest du bitte ein bisschen für mich recherchieren? So zwischendurch? Ich brauche eigentlich alles über die Aktivitäten von Gigolos, vor allem, wenn sie Damen um ihr Geld erleichtert haben. Schau mal speziell nach englischen Namen, die bei uns aktenkundig sind.»
«Gigolos! Das hat mir gerade noch gefehlt. Der Vater meiner Tochter hat schon wieder zwei Monate lang keinen Unterhalt gezahlt.»
«Tut mir leid, aber dann ist er kein Gigolo. Wenn er einer wäre, müsstest du ihm Unterhalt zahlen.»
«Das hätte er sowieso lieber!» Claudia zog ihre Nase kraus und kniff die Augen zusammen. Das rotgetönte Haar stand ziemlich wild um ihren Kopf herum, und sie hatte einen deutlich sichtbaren Knutschfleck am Hals.
«Ich hoffe, dein Neuer ist kein Gigolo», murmelte Laura. «Sag bitte Andreas Havel, dass ich in meinem Büro bin.»
«Woher …?» Claudia lief rot an und fasste an ihren Hals.
«Wenn du anzügliche Bemerkungen der Kollegen vermeiden willst, dann solltest du einen Schal umlegen. Ciao!» Laura zwinkerte der jungen Frau zu, verließ deren gläsernes Büro und zog sich in ihre sicheren Wände zurück.
Kaum hatte sie ihre Jacke ausgezogen und sich an den Schreibtisch gesetzt, klopfte Andreas Havel und wartete nicht auf ihre Aufforderung einzutreten. Der junge Kriminaltechniker sprühte geradezu vor Energie, er hatte eine Präsenz, die den ganzen Raum erfüllte.
«Guten Morgen, guten Morgen! Also, so was habe ich bei Ermittlungen noch nie erlebt!», rief er in seinem weichen tschechischen Akzent. «Die haben uns Lachs- und Kaviarbrötchen serviert und Sekt angeboten, aber wir haben natürlich Kaffee verlangt. Gegen solche Mordfälle habe ich nichts einzuwenden!»
«Wieso habt ihr euch eigentlich von diesem Hotelmanager aufhalten lassen? Guten Morgen, Andreas.»
«Es war wirklich unglaublich. Er hat uns am Lieferanteneingang abgefangen und erklärt, dass gerade wichtige Persönlichkeiten des politischen Lebens im Hotel unterwegs wären und wir unmöglich jetzt erscheinen könnten. Zehn Minuten, hat er gefleht, geben Sie mir nur zehn Minuten! Der Polizeiarzt ist schon
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