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Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall

Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall

Titel: Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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mit Carlotta war kein besonders guter Abschluss dieses Tages gewesen. Guerrini fragte sich, ob sein Vater mit seiner Befürchtung recht haben könnte, dass Carlotta ihre Beziehung zu ihm auffrischen wollte. Wenn es so wäre, dann hatte sie es nicht besonders geschickt angestellt. Aber diese Art von Talent war ihr noch nie gegeben gewesen.
    Im fünften Stock, vor Guerrinis Wohnungstür, schienen sich plötzlich sämtliche Gerüche zu ballen. Mit angehaltenem Atem tauchte er hindurch und knallte die Tür hinter sich zu.
    Natürlich blinkte der Anrufbeantworter. Das Wasser im Badezimmer war inzwischen nicht mehr lauwarm, sondern kalt, und die Heizung schien auch nicht richtig zu funktionieren. Als Guerrini endlich in seinem Bett lag, konnte er trotz seiner Müdigkeit nicht einschlafen. Nachdem er sich eine halbe Stunde lang herumgewälzt hatte, stand er wieder auf, trank ein Glas Wasser und hörte doch den Anrufbeantworter ab. Die erste Nachricht war tatsächlich von Angela Piselli. Sie flehte ihn an, den Vorfall vom Nachmittag nicht anzuzeigen. Ihr Mann würde alles erzählen, alles. Wenn sie nur ihr Haus behalten könnten und die Schreinerei.
    Guerrini schlüpfte in seinen Morgenmantel, öffnete die Tür zur kleinen Dachterrasse und schaute hinaus. Ganz schwarz lag die Stadt vor ihm, mit mattem Glanz auf einigen Dächern, wenigen Lichtern, deren Quellen nicht zu erkennen waren. Es war so still, als bereiteten sich die Einwohner auf den Angriff von Invasoren vor, die irgendwo draußen hinter den Hügeln lauerten. In diesem Augenblick schien Siena ins Mittelalter zurückversetzt.
    Ein kalter Windstoß ließ Guerrini erschauern, und er kehrte in die Wohnung zurück. Invasoren, dachte er, Wucherer sind auch Invasoren, und Wucherer gab es schon im Mittelalter. Es hat sich also nicht viel geändert.
    Seufzend drückte er die Taste auf seinem Telefon, um auch die anderen Anrufe abzuhören. Er warf einen Blick auf sein Handy, das den ganzen Abend über abgeschaltet gewesen war. Immerhin hatte er D’Annunzio gesagt, wo er im Notfall zu finden gewesen wäre. Der zweite Anrufer war Tommasini, der nach langem Nachdenken ein vages Gefühl hatte, den Toten mit den Geldscheinen im Mund schon einmal gesehen zu haben. Er würde weiter darüber nachdenken.
    «Viel Erfolg», murmelte Guerrini. Anrufer Nummer drei war sein Vater, der wissen wollte, ob sich Carlotta schon gemeldet hätte. «Sieh dich vor, Angelo. Sie führt was im Schilde! Ich täusche mich selten in Frauen! Pass bloß auf und mach keine Dummheiten. Wo bist du denn schon wieder, eh?»
    «Nein, ich mache keine Dummheiten, mach nur du keine und vor allem keine krummen Geschäfte, Fernando Guerrini, dormi bene!», antwortete Guerrini laut. Das war alles. Laura hatte nicht angerufen. Wieso eigentlich nicht, sie wartete doch auf Informationen über die Cipriani.
    Er fing an, ihre Nummer einzugeben, ließ es aber nach kurzer Überlegung bleiben. Es war zu spät, und was sollte er sagen? Dass er im Augenblick nicht funktioniere, dass er lieber mit Salvia zum Essen gegangen war, als am Computer für sie zu recherchieren? Dass er sie trotzdem liebe, aber heute Abend nicht ganz so intensiv wie sonst? Dass er Wucherer hasse und gerade jetzt eine geradezu schmerzhafte Liebe für kleine Leute empfinde, die in diesem Land immer beschissen wurden?
    Guerrini trank schnell ein zweites Glas Wasser, warf sich auf sein Bett und starrte an die Decke. In einem der Häuser gegenüber hatte offensichtlich jemand Licht eingeschaltet und damit den Schattenriss seines Oleanderbaums auf seine Zimmerdecke gezaubert. Zweige und Blätter schwankten im Wind, wie ein bewegter Scherenschnitt.
    Guerrini zog die Decke über sich. Ihm war kalt, und er wusste, dass der Schlaf noch weit entfernt war. Er hatte ein seltsames Gefühl von Beklemmung, als stecke er irgendwie fest. Etwas musste sich ändern in seinem Leben. Aber er wusste nicht genau, was.
     
    Als Laura gegen halb zwölf völlig aufgeweicht aus der Wanne stieg, dachte sie kurz daran, Guerrini anzurufen, entschied sich aber anders. Sie erwärmte etwas Milch, rührte Honig hinein, trank in kleinen Schlucken und wusste genau, warum sie an diesem Abend dieses Getränk brauchte. Ihre Mutter hatte ihr stets warme Milch mit Honig ans Bett gebracht, wenn sie nicht schlafen konnte oder traurig war.
    Das süße Getränk hatte für Laura etwas Tröstliches und Schmerzliches zugleich. Sie dachte nicht gern an den Tod ihrer Mutter, hatte die Trauer darüber an

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