Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
endlich nach Hause kam, lag die Wohnung dunkel und verlassen vor ihr. Auf dem Küchentisch fand sie einen Zettel:
Übernachten wahrscheinlich bei Papa. Mach Dir einen schönen Abend! Bussi Sofia und Luca
Zwei Herzen und zwei Smileys waren daneben gezeichnet.
Laura hatte keinen Hunger, trank nur eine Tasse Tee und ließ sich dann ein Bad einlaufen. Sie würde sich einen schönen Abend machen! Und sie würde nicht über ihre Kinder grübeln, sondern nach vorn denken. An ihre Arbeit zum Beispiel: Sie hielt es für möglich, dass die junge Frau Sutton keinen blassen Schimmer vom Doppelleben ihres Mannes hatte. Und sie war ziemlich sicher, dass der Familiensitz in Wales nicht existierte. Benjamin Sutton/Henry Tennison schien so etwas wie ein Erfinder von Träumen für Menschen zu sein, die Träume brauchten. Das war vermutlich sein Hauptberuf, und Laura zweifelte nicht an seinem Erfolg.
Aber irgendetwas passte noch nicht ganz ins Bild. Wenn er tatsächlich so viel Geld mit seinen Träumen erpresste und erschwindelte, warum lebte er dann mit einer so einfachen jungen Frau? Oder spielte sie nur Theater? Falls sie das tat, war sie außerordentlich gut. Mindestens so gut wie Donatella Cipriani.
Laura stellte die große Teetasse auf den Wannenrand und glitt langsam ins Wasser. Es war eine Spur zu heiß, doch genau das brauchte sie an diesem Abend, um ihr inneres Frösteln zu kurieren. Ich werde jetzt nicht mehr darüber nachdenken, auch nicht über das Gedicht von Angelo und nicht über Luca oder Sofia, dachte sie. Ich werde jetzt einfach nur im warmen Wasser liegen.
DONATELLA CIPRIANI war es gelungen, einen Hin- und Rückflug nach München zu buchen. Sie würde das Haus um halb sieben Uhr morgens verlassen und am Abend um kurz vor sechs wieder in Mailand ankommen. Ricardo hatte in Rom zu tun und würde ebenfalls erst am Abend zurückkommen, falls überhaupt. Er hatte sich nicht festgelegt. Das tat er in solchen Fällen fast nie. Offensichtlich beschleunigte er gerade seine politische Karriere.
Donatella hatte also die Chance, dass niemand von ihrem kurzen Ausflug nach München erfahren würde. Sohn und Tochter sah sie ohnehin selten. Ständig waren sie mit Freunden unterwegs, blieben meist über Nacht fort, wohnten eigentlich längst woanders, wer weiß, wo.
Der Haushälterin würde sicher nichts Ungewöhnliches auffallen. Donatella verließ häufig schon am Morgen das Haus und kam erst abends zurück. Sie hatte ein Büro in der Innenstadt, dort entwarf sie ihre Möbel und lebte ihr Leben. Unabhängig von Ricardo. Lebte sie es? Jedenfalls hatte sie sich bisher vorgemacht, dass sie es lebte. Jetzt erschien ihr all das unreif, feige, lächerlich.
Längst hätte sie sich scheiden lassen sollen. Warum hatte sie nie den Mut dazu gefunden? Der Kinder wegen? Armselige Ausrede. Ihre Kinder verachteten sie für ihre Unklarheit und ihre Unterordnung unter das «Prinzip Ricardo», wie sie es nannten. Beide hatten sich linken Gruppen angeschlossen und lebten dort die unterdrückten Gefühle ihrer Mutter aus. So jedenfalls deutete Donatella ihr Verhalten.
Ricardo nahm diese Entgleisung seiner Kinder nicht zur Kenntnis. Jedenfalls meistens. Wenn er sich damit auseinandersetzen musste, weil sie ihn hin und wieder damit konfrontierten, spielte er es als revolutionäre Phase herunter, die jeder in seiner Jugend durchmache. Die einen bei den Rechten, die anderen bei den Linken. Die Rechten wären ihm lieber gewesen, aber man konnte eben nicht alles beeinflussen.
Es gab politische Mitstreiter, deren Kinder ähnlich aus dem Ruder liefen. Das erleichterte die Sache für ihn. Solange die Jungen nicht in einer linken Terrorgruppe Bomben legten, konnte man sich darauf hinausreden, dass die Jugend eben so sei. Es hatte nicht nur negative Aspekte, nein, er, Ricardo Cipriani, stand auch als toleranter Vater da, vereinte die Gegensätze des Landes in seiner Familie und führte sie in Liebe zusammen. Erfolgreicher noch als der Premier, denn dessen Frau hatte die Scheidung eingereicht, und seine Kinder machten genau, was der Vater schon immer gemacht hatte: Geld.
Donatella bereitete es Mühe, nicht loszuschreien, wenn sie daran dachte, und in diesem Augenblick wusste sie nicht mehr, warum sie sich diesen komplizierten Plan ausgedacht hatte, um die Erpressung zu verbergen. Warum hatte sie nicht den Mut, all das hochgehen zu lassen? Wie eine Bombe. Peng!
Sie saß im Speisezimmer dieses viel zu großen Hauses und schaute verwirrt auf den leeren
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