Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
sich sehr ernsthaft im Namen aller italienischen Pferde. Er besaß diesen Sinn für absurde Dialoge, die sie selbst so schätzte. Und an diesen Dialogen entlang hatten sie sich einander angenähert. Beide waren sich ihrer Verletzlichkeit bewusst, beide hatten die Erfahrung einer gescheiterten Ehe.
Die Maschine setzte so hart auf, dass sie zwei, drei Bocksprünge auf der Landebahn machte und mehrere Passagiere vor Schreck aufschrien. Hatte sie selbst auch geschrien? Falls sie es getan hatte, dann völlig unbewusst.
Alles dauerte zu lange, die Schlange der Wartenden vor der noch immer verschlossenen Flugzeugtür. Das Warten auf die Koffer, und natürlich war Lauras einer der letzten, die auf das Karussell geladen wurden. Drüben am Ausgang winkte Tommasinis Bruder. Laura winkte zurück. Er kam ihr entgegen, drückte fest und schweigend ihre Hand und griff nach ihrem Koffer.
«Wie geht es Angelo?», fragte Laura auf dem Weg zum Wagen.
«Er liegt im Koma, Signora. Im künstlichen Koma. Das machen sie heute so. Vielleicht ist es ja gut. Vielleicht werden die Leute schneller gesund, wenn sie nichts mitkriegen.» Der jüngere Bruder Tommasinis sah sehr besorgt aus. Seine helle Haut wirkte in der Morgensonne fahl und zerfurcht. Das schwarze Haar ließ den Wirt des
Aglio e Olio
noch blasser erscheinen.
«Danke, dass Sie mich abgeholt haben, Signor Tommasini.» Laura ließ sich in den Beifahrersitz fallen. Er nickte kummervoll.
«Wenn es Ihnen nichts ausmacht, dann können Sie mich Leonardo nennen, Signora.»
«Grazie, Leonardo. Sie können auch gern Laura zu mir sagen.»
«Per piacere, Signora Laura. Es wäre mir verdammt nochmal lieber, wenn Sie und der Commissario heute Abend zu mir zum Essen kämen. Das Krankenhaus ist keine gute Adresse für ein Wiedersehen … Diese verfluchten Wucherer! Bei mir hat auch schon einer angefragt. Dem hab ich Beine gemacht! Mein Lokal geht hervorragend, ich brauche keinen Kredit von Verbrechern, und selbst wenn ich ihn bräuchte, würde ich einen Teufel tun und mich mit diesem Pack einlassen!»
Tommasini gab Gas und lenkte seinen großen schwarzen Geländewagen Richtung Superstrada. Eigentlich hasste Laura große schwarze Geländewagen, doch diesmal empfand sie nur Dankbarkeit, und es war ihr auch egal, dass Tommasini viel zu schnell fuhr. Dankbar war sie auch für sein Schweigen und das aufmunternde Lächeln, das er ihr hin und wieder zukommen ließ. Selbst die Superstrada zwischen Florenz und Siena erinnerte sie an die erste Begegnung mit Angelo. Wie Tommasini hatte er sie damals vom Flughafen abgeholt und während der Fahrt nach Siena kaum gesprochen. Sie hatte sich ganz auf die grünen Hügel konzentriert, war einfach froh gewesen, dem Münchner Alltag entkommen zu sein und für eine Weile im Land ihrer Mutter zu arbeiten.
Diesmal erschien ihr die Landschaft abweisend. Der Anblick schwarzer Zypressen, die sich hart gegen den graublauen Himmel abzeichneten, erschreckte sie und ließ sie frösteln.
«Ist Ihnen kalt, Signora?»
«Ja», murmelte Laura.
«Ich mach die Heizung an, gleich wird’s wärmer.»
«Grazie, Leonardo.»
Dann schwiegen sie wieder, bis vor ihnen Siena auftauchte.
«Soll ich mit reinkommen?» Tommasini hielt auf dem Parkplatz neben dem Haupteingang des Krankenhauses und hatte offensichtlich Lauras Zögern bemerkt. Ehe sie antworten konnte, war er aus dem Wagen gesprungen und öffnete die Tür für sie.
«Kommen Sie, Signora Laura.» Er hielt ihr die Hand hin, und wieder war sie dankbar für seine Fürsorge. Langsam kletterte sie aus dem Fahrzeug, warf ihren Rucksack über die Schulter und empfand jetzt klare, kalte Angst, die ihr das Atmen schwermachte. Sie kannte dieses Krankenhaus, hatte die Malerin Elsa Michelangeli hier im Koma gesehen, war selbst nach einem Streifschuss an der Stirn hier genäht worden.
Tommasini ging voraus, und sie folgte ihm, ohne wahrzunehmen, was um sie herum vor sich ging. Jemand zeigte auf einen Gang, der nach rechts führte, erklärte irgendwas. Laura konnte dem Sinn der Worte nicht folgen, lief einfach hinter Leonardo Tommasini her und versuchte sich während des Gehens halbwegs in den Griff zu bekommen. Schnelles Gehen und Rennen war ihr Gegenmittel gegen Angst. Aber sie konnte nicht einfach durch diese Krankenhausgänge rennen, nur schnell gehen. Zum Glück ging auch Tommasini schnell.
Vor dem Eingang zur Intensivstation saßen und standen ein paar Männer herum, einige in Polizeiuniform, andere in Zivil. Ihre
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