Nachtgefieder • Laura Gottbergs siebter Fall
guter Beruf, den du da hast, Laura!» Er gähnte und rubbelte heftig sein verstrubbeltes weißes Haar.
«Nein, Vater. Es ist etwas anderes. Ich muss sofort nach Siena. Angelo ist angeschossen worden, und es scheint ernst zu sein.»
Langsam setzte sich Emilio Gottberg auf Lauras Sofabett und seufzte tief. «Fahr, Laura. Das hier räum ich schon weg!»
Die Zärtlichkeit, mit der er das sagte, ließ Tränen in Lauras Augen steigen, und so suchte sie halbblind ihre Sachen zusammen und umarmte endlich ihren Vater. Ihr Herz schmerzte vor Liebe zu ihm, zu Angelo, zu ihren Kindern und zu diesem so verdammt zerbrechlichen Leben.
Über den Alpen geriet das Flugzeug in heftige Turbulenzen, und Laura wurde sofort schlecht. Vor dem Fenster rasten Wolkenfetzen vorbei, die Maschine vibrierte, tauchte durch die Himmelstäler. Mit geschlossenen Augen versuchte Laura, den Aufruhr in ihrem Magen zu beruhigen. Was hatte ein erfahrener Pilot einmal zu ihr gesagt? Man muss mit den Turbulenzen fallen und steigen, nicht krampfhaft dagegen ankämpfen.
Scheiße, dachte sie, als das nächste Luftloch kein Ende nehmen wollte.
Fliegen hat etwas mit Loslassen zu tun, das hatte er auch gesagt. Die Welt war voll von wunderbaren Ratgebern, deren Ratschläge wahrscheinlich nicht einmal sie selbst befolgen konnten. Sie versuchte an etwas anderes zu denken. Nicht an Loslassen, nicht an Angelo. Nicht jetzt! Wenn sie an ihn dachte, wurde ihr vor Angst noch schlechter.
Sie dachte an Luca und wie er die Tür aufgerissen hatte, als sie nach Hause gekommen war. Wie er sich wortlos an den Computer gesetzt hatte und den vorletzten freien Platz in der ersten Maschine nach Florenz für sie buchte. Er hatte ihr die Ankunftszeit in Florenz aufgeschrieben und ihr das Telefon hingehalten, damit sie in der Questura anrief.
Tommasinis Bruder würde sie abholen. Er selbst war zu müde nach einer durchwachten Nacht. Luca hatte auch das Taxi gerufen und Lauras Koffer nach unten getragen. Und die ganze Zeit hatte er kaum etwas gesagt, nur das Wesentliche, Sachliche. Blass war er gewesen.
«Hoffentlich wird alles gut», hatte er leise gesagt, als er Laura beim Abschied umarmte.
Laura dachte an Sofia, die ihr Tee gebracht hatte, einen Apfel in den kleinen Rucksack steckte und das Parfümfläschchen, das Laura im Bad vergessen hatte. Auch sie war ganz leise gewesen, hatte beim Abschied Tränen in den Augen gehabt.
Erwachsen, dachte Laura, sie sind so verdammt erwachsen und trotzdem noch so jung. Vielleicht haben sie zu früh zu viel Verantwortung getragen? Für mich, weil ich arbeiten musste, weil ich nach der Trennung von Ronald unglücklich und verletzt war und sie das gespürt haben, obwohl ich es zu verbergen versuchte?
Ach Mist. Sie war stolz auf Sofia und Luca. Wahrscheinlich war es ein großer Irrtum, die Kindheit immer weiter auszudehnen wie einen vermeintlich paradiesischen Zustand. Laura hielt die Luft an und umklammerte die Armstützen ihres Sitzes, als die Maschine in das nächste Luftloch stürzte.
Ihre Übelkeit war verschwunden, da war nur noch dieses innere Vibrieren, das dem des Flugzeugs glich. Sie versuchte an Angelo zu denken, irgendwie funktionierte es nicht. Es war eine Art Blockade, die es ihr unmöglich machte, ihn mit Krankenhaus und Intensivstation zu verbinden. Stattdessen fiel ihr ein, dass sie keine Nachricht im Dezernat hinterlassen hatte. Was ihr wiederum in dieser Situation völlig egal war. Das Flugzeug lag nun ruhiger in der Luft, und die Wolken lösten sich allmählich auf. Braungrün tauchten Flecken der Poebene tief unter ihnen auf, eine Flusswindung, ein Dorf, die strengen Muster der Pappelhaine. Über dem Apennin war der Himmel klar, nur ein paar weiße Federwolken stiegen aus den Bergtälern auf. Dann setzte das Flugzeug zur Landung an, und der Talkessel von Florenz öffnete sich vor ihnen.
Jetzt konnte Laura an Angelo denken. Sah plötzlich ihre erste Begegnung vor sich. Er war ganz offensichtlich verwirrt gewesen, als hätte er eine andere Person erwartet, hatte zu schnell und zu viel geredet. Und sie hatte ihn genau beobachtet, sein gutes Aussehen registriert, die Bernsteinaugen, den fehlenden Ehering und seine Zurückhaltung. Was hatte sie damals gedacht? Schade, wenn er schwul wäre. Und warum? Weil er nicht sofort einen heftigen Flirt mit ihr angefangen hatte.
Aber sein Humor hatte sie für ihn eingenommen. Als ein Kutschpferd auf der Piazza della Signoria seine Äpfel vor ihnen fallen ließ, entschuldigte er
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